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Paul Klee – der Unerschöpfliche

„Das Universum Klee“ im Hatje Cantz Verlag

© Die Berliner Literaturkritik, 03.02.09

 

Paul Klee, Maler und Musiker, auch „Dichter, Naturforscher, Philosoph“, wie er selber sagte, entfaltete nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sein unübersehbar reiches Werk zwischen den Polen träumender Naivität und höchster Geistigkeit. Gerade weil er so vielschichtig war, weil er mit allen Stilrichtungen seiner Zeit in Berührung kam, kann man ihn auch keiner von ihnen so richtig zuordnen, weder ganz dem Expressionismus, dem Konstruktivismus noch dem Surrealismus oder der gegenstandslosen Kunst überhaupt. Er blieb der meditative Einzelgänger, der die Welt in seinen Bildern neu zu erfinden und ihr etwas von ihrem ursprünglichen Zauber zurückzugeben suchte. Und das eben macht seine epochenübergreifende Bedeutung als unerschöpflicher Formanreger aus.

Im Rahmen des gigantischen Ausstellungszyklus „Der Kult des Künstlers“ zeigt die Neue Nationalgalerie in Berlin unter dem Titel „Das Universum Klee“ mit etwa 250 Werken noch bis zum 8. Februar 2009 eine der umfassendsten Klee-Präsentationen der letzten Zeit. Sie ist eine Hommage an den Sammler Heinz Berggruen, der bereits 1955 in seiner Pariser Galerie eine Ausstellung „L’univers de Klee“ veranstaltete, der den Bestand der Nationalgalerie an klassischer Moderne so wesentlich bereichert hat und der auch noch an den ersten Vorbereitungen dieser Ausstellung aktiv beteilt war.

Der Katalog, eine wahre Fundgrube für den Klee-Kenner wie den noch nicht mit dessen Werk Vertrauten, benennt das Epochentypische und Universale bei Klee, ohne seine Unverwechselbarkeit in den Hintergrund treten zu lassen. Er vereinigt fünf sich sinnvoll ergänzende Essays: „Die Welt als Fragment. Bausteine zum Universum Klee“ (Peter-Klaus Schuster), „Klees Orientierungskünstler“, also die Künstler, an denen er sich in den langen Jahren seiner künstlerischen (Selbst-) Ausbildung orientierte (Otto Karl Werckmeister), „’Berlin kann alles’. Paul Klee, Berlin und die Nationalgalerie“ (Dieter Scholz), „Der Magier als Quotenkünstler. Paul Klee und sein Aufstieg zum Klassiker der Moderne“ (Christine Hopfengart) und „Einige Notizen zu Paul Klee und Heinz Berggruen“ (Olivier Berggruen).

Klee neigte dazu, die Welt als Modell zu sehen, als eine Art Planetarium, das von einem kosmischen Uhrmachergott geschaffen wurde, um geistige Wahrheiten zu verdeutlichen. Das erklärt den spielzeugartigen Charakter seiner Fantasien: Wenn die Welt keine endgültige Wirklichkeit besaß, konnte man sie so schematisch und so märchenhaft-witzig wie nur möglich darstellen, mit anekdotischer Erfindungslust, in der Unmittelbarkeit des schöpferischen Einfalls, mit der heiteren Ironie der Vision – aber auch der Fatalität - , in der rhythmischen Präzision und der Poesie des Dahinträumens, schließlich in der Miniaturisierung des Geschehens. Daher sein Ruf als ein „petit-maitre“ einer universalen Welt.

Seine Arbeit glich einem Stöbern in den vielen Ritzen und Schlupflöchern des menschlichen Lebens, der Zeitereignisse, der Kultur wie auch der Wissenschaft. Er holte sich seine kleinen Trophäen, Zeichen und Signale aus den Bereichen der Botanik, Biologie, Geografie, Astronomie, Physik, Psychologie, Kunst, Architektur, Theater, Musik, Literatur und vielem anderen mehr. So, als eine „universale, ins Kleinformat komprimierte Enzyklopädie des Menschen“ ,wird in der Ausstellung wie im Katalog der Bildkosmos Klees in 15 Themenkomplexen vorgeführt, die zugleich einen chronologischen Querschnitt durch das Werk und Leben dieses Ausnahmekünstlers bieten: Prolog (das Künstler-Ich Klee), Kindheit, Eros, Frauen – Männer, Ferne, Theater, Tiere, Natur, Musik, Architektur, Bauhaus, Schrift, Religion, Krieg, Melancholie.

Blättert man in dem mit großformatigen Abbildungen versehenen Band, dann kann man erkennen: Aus fast absichtslos gesetzten Strichen und Formen ergeben sich bei Klee Bildzeichen, die wie aus Abgründen auftauchen. Schon in den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs assoziieren sich Formen in seinen Bildern zu traumhaften Symbolen, die beim Betrachter den Wunsch auslösen, in nicht zu enträtselnde Geheimnisse einzudringen. In den Bauhausjahren 1921-30 nahm Klees Kunst dann einen rationaleren Charakter an. Sie wurde geometrischer. In seinem Bauhausbuch von 1923, „Wege des Naturstudiums“, schrieb er: „Der Künstler ist Mensch, selber Natur und ein Stück Natur im Raum der Natur.“

So schließt sich ihm der Kreislauf: Aus der Meditation über die Natur und die Welt entsteht die Vorstellung von rhythmischen Grundstrukturen des Raumes, des Wachsens, der Statik und Schwerkraft, der Dynamik des Schwebens und Fliegens, und aus diesen Grundstrukturen wird durch die Gestaltung unversehens, aber doch notwendig wieder Natur, nicht deren Abbild, sondern deren Wesen. Die Magie einer geometrischen Ordnung wird zum Spiegelbild kosmischer Ordnung schlechthin.

Nach der Bauhauszeit nimmt die Zeichensprache seiner Bilder zu und bestimmt sein Schaffen bis zum Ende. Er verwendet darin hieroglyphenartige Zeichen oder Kürzel, deren Herkunft aus dem figuralen Bereich immer wieder durchscheint. Sie werden zu Hauptträgern von Botschaften, wollen Signale setzen. Auch der Bildtitel ist als ergänzende Mitteilung zum Bildinhalt wichtig. Schauen und Denken muss sich hier beim Betrachter gleichzeitig vollziehen.

Ein Schlüsselwerk von Klee, „Angelus novus“ (1920), einstmals in Besitz des Philosophen Walter Benjamin und für diesen eine wichtige Inspirationsquelle, stellt einen Engel-Menschen mit gestikulierend erhobenen Händen, die zu kurz geratenen Flügeln gleichen, und vogelartigen Füßen dar. Nimmt er ungläubig staunend wahr, dass er dennoch zum Fliegen imstande ist? Denn in der Überwindung der eigenen Grenzen des Verstehens und Vermögens hat Klee eine wichtige Triebkraft menschlichen Handelns und Denkens gesehen. Benjamin interpretierte die Figur als „Engel der Geschichte“, der entsetzt auf die Trümmer einer Katastrophe schaut, sie wieder zusammenklauben will, aber vom Sturm der Entwicklung in die Zukunft getrieben wird. So wurde Klees Engel als dialektische Allegorie eines ohnmächtigen Historikers interpretiert. Eine neuere Auslegung glaubt nun in der Angelus-Figur eine frühe Parodie auf Adolf Hitler zu erkennen, der damals als Münchener Lokalpolitiker in Trenchcoat und roter Krawatte, so wie sie auch die Figur trägt, größenwahnsinnige Reden im pseudoreligiösen Tonfall hielt.

Betrachtet man „Hauptweg und Nebenwege“ von 1928, so denkt man unwillkürlich an die Textur einer Landschaft, wie sie ein Blick aus dem Flugzeug vermittelt. Eindrücke einer Ägyptenreise sind in dem Bild verarbeitet, aber sie erklären nicht sein Wesen, denn hier wird der Eindruck einer Straßen- oder Terrassenlandschaft nicht aus der Natur abstrahiert, sondern er entsteht im Aufbau von Flächen und Raumstrukturen. Die horizontalen Streifen geschichteter Farbe werden durch die in unregelmäßigen Abständen eingesetzten Vertikalen und Diagonalen variiert. Der dominierende „Hauptweg“ führt rasch nach oben, d. h. in die Tiefe, während auf den „Nebenwegen“ eine Umkehrung, eine rückläufige Bewegung erfolgt. Die Vielfalt der Wege und Treppen, der Dehnungen und Zusammenziehungen, der Geradlinigkeit und Brechungen reizt die Fantasie und führt tatsächlich zu einem landschaftlichen Erlebnis, die Lineaturen können aber ebenso gut auch als Lebensgleichnis gedeutet werden.

Die Musik übte einen besonders starken Einfluss auf Klee aus. Er war der Meinung, dass die Fuge des 18. Jahrhunderts sich ganz direkt in Farbabstufungen und Farbwerte, in Wiederholungen und Abwandlungen des Motivs umsetzen ließe. Seine Kompositionen von übereinandergeschichteten Formen, die wie Kartenspiele oder Farbmuster auseinandergefächert sind, so „Polyphone Strömungen“ (1929), stellen den Versuch dar, die Zeit in eine statische Komposition einzufrieren und optischen Motiven den „sich entfaltenden“ Charakter von akustischen zu geben. Dieses Gefühl von Rhythmik, Wiederholung und Entfaltung übertrug sich ganz selbstverständlich auf seine Bilder von Pflanzen und Blumen. Sein Suchen nach Symbolen und Sinnbildern lässt viele seiner Bilder als eine Art Literatur erscheinen: Sie wimmeln nur so von Zeichen, Pfeilen, schwimmenden Buchstaben, verbogenen Wegweisern, Kommata und Schlüsseln.

Seine kodierte Beschreibung von Gegenständen – sei es das Adergeflecht eines Blattes oder das Netz tunesischer Bewässerungsgräben – macht nicht einmal den Versuch einer sinnenhaften Wiedergabe, sondern sagt aufrichtig aus, dass dies rein geistige Bilder sind, Hieroglyphen , die in einem zeichenhaften Raum existieren. Das bedeutete nicht nur genaue, sondern auch ekstatische Beobachtung der natürlichen Welt und ein Sich-zu-eigen-Machen der Extreme von nah und fern, der Nahaufnahme des Details und der von fern gesehenen „kosmischen“ Landschaft. An einem Ende der Skala der Mond und die Berge, ein Gehölz von gezackten, dunklen Kiefern, die flachen, spiegelnden Seen in einem Mosaik von dünn aufgetragener Wasserfarbe. Am anderen Ende ein Schwarm kleiner grafischer Inventionen und kristalliner Formen, wie sie nur im Zeitalter der hochempfindlichen Mikroskope und der Makrofotografie erfunden werden konnten.

Neben dem magisch leuchtenden „Goldfisch“ (1925) ist „Die Zwitschermaschine“ (1922) – beide gehörten einst der Nationalgalerie – für die Dauer der Ausstellung nach Berlin zurückgekehrt. Ein scheinbar erheiterndes Vogelquartett hat sich auf einem Ast aufgereiht, der mit einer Kurbelwelle und einer merkwürdigen Apparatur verbunden ist. Doch ein Pfeil durchbohrt den Kopf des einen Vogels, den Körper des anderen, das Auge des dritten, während die Zunge des vierten Vogels die Form eines Ausrufezeichens hat, ein Gefahrensignal in Klees Ikonografie. Das Bild ist eine parodistische Anspielung auf die damalige Situation im Bauhaus, eine grafische Versinnbildlichung der Konflikte, ihrer Auswirkungen auf die einzelnen Kollegen und des Schicksals, das sie erwartete. Eine kleine Drehung der Kurbelwelle hätte fatale Folgen.

Als sich Klee dem Tode näherte, schuf er eine ganze Reihe von Engel-Motiven als eine letzte Metapher für die endgültige Reise ins Reich des Unsichtbaren. In „Engel, noch weiblich“ (1939) registriert ein Auge besorgt, über die Flügel hinweg nach unten schauend, die Reste einer verschwindenden Sexualität. Das andere Auge, nach oben gerichtet, verweist auf den einzuschlagenden Weg, mit dem die Metamorphose des Menschen abgeschlossen werden soll. Die Engelsgesichter haben einen wachen, wissenden, ja fast heiteren Ausdruck, der den Triumph des Geistes über das Leiden versinnbildlicht.

Literaturangaben:
SCHOLZ, DIETER/THOMSON, CHRISTINA (Hrsg.): Das Universum Klee. Mit Beiträgen von Olivier Berggruen, Anke Daemgen u. a. Ausstellung in den Staatlichen Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008. 367 S., 25 €.

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