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Pest in Breslau

Ein mörderischer Geheimbund treibt sein Unwesen

© Die Berliner Literaturkritik, 17.07.09

MÜNCHEN (BLK) – Im Juli 2009 ist bei dtv „Pest in Breslau“ von Marek Krajewski erschien.

Klappentext: Breslau, 1923. In der Stadt treibt eine unheimliche Brüderschaft ihr Unwesen, der „Geheimbund der Misanthropen“. Aufgenommen werden skrupellose Mörder, bestialische Verbrecher, Menschen mit eiserner Geduld und ohne Gewissen. Der Polizist Eberhard Mock hat noch nie von diesem Geheimbund gehört, als er eines Morgens völlig betrunken in einem Wald bei Deutsch Lissa erwacht, mit rosa Farbe beschmiert und ohne eine Ahnung, wie er hierhergekommen ist. Es werden in rascher Folge mehrere brutale Morde begangen, und bei jedem findet man Spuren, die auf Mock als Täter hindeuten.

Marek Krajewski, 1966 geboren, ist Altphilologe und war Dozent an der Universität Wroclaw. Seit 2007 konzentriert er sich ganz auf seine Tätigkeit als Schriftsteller. Er lebt in Wroclaw/Breslau. Seine Krimiserie mit dem Antihelden Eberhard Mock ist in Polen und inzwischen auch in Deutschland sehr erfolgreich, die Romane wurden in Polen u.a. als „Krimi des Jahres“ und mit dem „Paszport Polityki“-Preis der Wochenzeitung ‚Polityka’ ausgezeichnet, in Deutschland wurden sie mehrmals auf die KrimiWelt-Bestenliste gewählt. (ber/rud)

Leseprobe:


©dtv©

Der Verlust des Bewusstseins bei dem Neophyten stellt ein äußerst wichtiges Element der Initiation in den Geheimbünden dar. (. . .) Dieser Zustand wird erreicht durch Räucherung, Auspeitschen, Foltern. Es hat zum Ziel, den Novizen „sterben“ zu lassen.

Arnold van Gennep, ‚Übergangsriten’

Nicht möglich ist es, die Absichten eines Weibes oder eines Mannes zu durchschauen, bis man sie auf die Probe stellt wie Tiere im Gespann.

Theognis von Megara

Breslau, Donnerstag, den 15. Mai 1913,
Viertel nach zwei Uhr nachts

Er stieg die eiserne Wendeltreppe hinauf, die sich den Maschinenraum des Wasserturms am Weidendamme emporschlang. Um ihn herum surrten rhythmisch die Schwungräder, Kräne knarrten, Pumpen und Aggregate zischten.

Er bekam kaum mehr Luft, fühlte Übelkeit aufkommen, verursacht durch die eintönige Bewegung und die unzähligen Kreise, die sein Körper gedreht hatte, seit er seinen Fuß auf die erste Stufe der Wendeltreppe gestellt hatte. Krampfhaft hielt er sich an dem Eisengitter fest, das ihn davor bewahrte, von der Treppe zu stürzen und in den Eingeweiden dieses Monsters, das dampfschnaubend sauberes Wasser in die Arterien der Stadt presste, zu verenden. Der Blick des Mannes wanderte über die Firmennamen, die in erhabener Schrift die von Öl glänzenden Maschinen bedeckten – Pieffke,Woolf, Ruffer, Zoelly schimmerte es vor seinen müden Augen.

Endlich erreichte er die Bekrönung des Gebäudes, einen winzigen Turm,der wie ein Häuschen aussah.Er blieb stehen und atmete schwer. Der Nachtwächter, der eine Uniform und ein Tschako trug und darin wie ein Polizist wirkte, sah den Mann gleichgültig an, bevor er den Blick wieder abwandte. Er reagierte nicht einmal dann, als der Mann das Fenster öffnete und auf das leicht geneigte Dach hinaustrat. Die Sohlen seiner Wanderschuhe rutschten gefährlich über das Kupferblech.

Einen Moment lang war ihm, als würde er das Gleichgewicht verlieren. Er fuchtelte mit den Armen,streifte mit einer Hand den Fensterrahmen. Rasch griff er danach und hielt sich an dem Rahmen fest. Dann rollte er eine dicke Strickleiter auf, die er sich unter die Achsel geklemmt hatte. Er band sie mit einem Seemannsknoten am Fensterrahmen fest. Diesen Knoten hatte er seit einer Woche geübt. Eine Weile stand er regungslos da.

Er trug eine Joppe aus dickem Tuch und eine kurze Lederhose; lange Wollstrümpfe reichten ihm bis zu den Knien. Auf dem Kopf hatte er eine Schirmmütze mit Klappen sitzen, die oben mit einem Knopf zusammengehalten wurden. Lustvoll nahm er einige tiefe Atemzüge der nächtlichen Luft, sog sie durch den von der Anstrengung ausgetrockneten Mund ein. Einige Minuten lang bewunderte er das Panorama der Stadt. Vor seinen Augen wand sich das ruhige schwarze Band der Oder, das hier und dort sanft schimmerte. Auf dem rechten Ufer erstreckte sich die Breslauer Vergnügungsstraße Am Weidendamme, hier waren das Marionettentheater, Lichtspielhäuser, Biergärten, Glaspavillons und diverse Lokale zu finden. Trotz der späten Stunde brannten die Straßenlaternen, und kitschige Walzermelodien drangen herauf.

Der Mann streifte sich dünne Lederhandschuhe über, drehte sich um und begann, sich langsam zur Dachkante hin abzuseilen. Die Sprossen der Strickleiter klapperten auf den Kupferplatten des Daches, während sich die Leiter spannte. Er hielt einen Meter vom Rand entfernt inne und warf das lose Ende hinunter. Dann lauschte er einige Sekunden, doch er konnte nicht hören, ob die Leiter sieben Etagen tiefer auf dem Boden aufschlug. Entweder war sie zu kurz, oder aber das Geräusch war von dem Klirren der Fensterscheiben übertönt worden, gegen die das Holz der Sprossen schlug.

Er merkte, wie die Angst in ihm aufstieg. Die Leiter war zu kurz! Es wird nicht funktionieren, dachte er, als er sich einige Zentimeter von der Regenrinne entfernt niederkniete. Seine Schuhspitzen ragten über die Dachkante hinaus. Auf einmal spürte er den Blick des Wächters auf sich. Er packte die Sprossen der Leiter mit einer solchen Kraft, als wollte er den Saft aus dem Holz herauspressen. Dann ließ er sich über die Dachkante gleiten.

Der Kloß in seinem Hals erschwerte ihm das Atmen. Er bewegte die Beine und suchte mit den Fußspitzen nach einer Sprosse, schmiegte dabei seine Wange an die Regenrinne und fühlte, wie sein Körper schwer an seinen Armgelenken riss. Sein linker Fuß erwischte einen Mauervorsprung, der rechte ertastete die Leiter. Erst jetzt wagte er, die Hände vom Dach zu lösen. Er stieg einige Sprossen hinab, bis unter den Dachfuß.Als die Strickleiter sich im Wind bewegte, krümmte er sich. Und blickte auf die Straße hinunter.

Das hätte er nicht tun sollen. Schon klatschte etwas gegen einige der Fenster im obersten Stockwerk. Sieben Etagen tiefer wurden die Pflastersteine feucht. Doch es war nicht Frühlingsregen, der da vom Himmel fiel.

Wald zwischen Deutsch Lissa und Neumarkt,
Samstag, den 30. Juni 1923,
Viertel nach sieben Uhr morgens

Oberwachtmeister Eberhard Mock wusste nicht, wie er das hartnäckige Jucken loswerden sollte, das abwechselnd die eine und die andere Ohrmuschel reizte. Er stellte sich benommen vor, dass an seinem Kopf zwei dreckige, freche, abgerissene Steppkes standen, die mit Grashalmen seine Ohren kitzelten. Er wollte die Augen nicht aufmachen, damit diese Vision nicht Wirklichkeit wurde.

Er hatte am Abend zuvor zu viel getrunken. So viel, dass  er von den Vorfällen des Nachmittags und des Abends kaum noch etwas wusste. Bestimmt lag er jetzt unter einer Brücke an der Oder, verdreckt und verletzt, und zwei kleine Herumtreiber ärgerten ihn, indem sie ihm Grashalme in die Ohren steckten. Und was soll werden, falls meine Vermutungen wahr sind, dachte er bei sich. Er würde die Augen aufmachen und versuchen, mit ausgedörrter Kehle einen Laut von sich zu geben. Die kleinen Halunken würden jedoch überhaupt keine Angst vor ihm haben, sie würden von ihm ablassen, nur um dann um ihn herumzuspringen und ihn erbarmungslos zu verhöhnen. Er würde versuchen, sie zu schnappen, sich hilflos im Kreis drehen, und dabei würde ihm der aufgewühlten Magensäfte wegen übel werden. Nein, lieber blieb er ruhig liegen, in seiner sicheren kleinen Welt hinter den geschlossenen Augenlidern.

Mock versuchte, seinen eingetrockneten Speicheldrüsen ein wenig Feuchtigkeit zu entlocken – mit nur mäßigem Erfolg. Sein Gaumen war rau, als hätte ihn jemand mit Zementpulver eingerieben. Ihm wurde schlecht, doch er gab dem Würgereiz nicht nach. Er lag da und kniff die Augenlider zusammen. Nach einer Weile bewegte er die Finger der linken Hand, drückte den Ringfinger fest gegen den kleinen Finger. Das kann nicht sein, dachte er. Die Finger dürfen nicht glatt aneinanderliegen. Normalerweise wurde das nämlich von einem goldenen Siegelring verhindert.

Ich habe ihn bestimmt in die Hosentasche gesteckt, beruhigte Mock sich in Gedanken, damit er mir nicht geklaut wird. Er hielt die Augen noch immer geschlossen, als er in der Erwartung in die Tasche griff, auf das schöne Schmuckstück des Kölner Juweliermeisters Ziegler zu stoßen. Doch er fand noch nicht einmal seine Hosentasche, in der er üblicherweise auch sein Taschenmesser, Tabak und ein Benzinfeuerzeug aufbewahrte. Wo ist meine Hose? Wo ist meine Unterhose?!

Mock setzte sich auf und öffnete die Augen. Er saß nackt und von Schweiß bedeckt auf einer Waldlichtung. Um seine Schultern lag irgendein alter Stoff, ein fadenscheiniger Mantel. Die Morgensonne brannte auf ihn herab. Er spürte, wie ihn etwas hinter dem Ohr zwickte, fluchte und zerdrückte mit dem Daumen ein Insekt. Dann hob er den Finger an die Augen, um zu sehen, was ihn die ganze Zeit so gekitzelt hatte. Doch es war nicht die rote Ameise, die ihn entsetzte. Es war die rosa Farbe, die seine Hand bedeckte. Er sah auf sein Bein hinunter. Seine Finger, mit denen er versucht hatte, in die nicht existente Hosentasche einzudringen, hatten fünf längliche Spuren hinterlassen.

Da waren keine Halunken, die seine Ohren kitzelten. Und da war keine Kleidung, und kein Siegelring. Mock war da, Oberwachtmeister Eberhard Mock, verkatert und völlig hilflos.

©dtv©

Literaturangabe:

KRAJEWSKI, MAREK: Pest in Beslau. Aus dem Polnischen von Paulina Schulz. dtv, München 2009, 280 S., 14, 90 €.

Weblink: 

dtv


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