Von Susanna Gilbert-Sättele
HAMBURG (BLK) – Die Faszination des Schreckens scheint ungebrochen: Deutsche Fans von historischen Romanen jedenfalls greifen nach wie vor gern zu gruseligen Mittelalter-Schmökern, wie der jüngste Sensationserfolg „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonso Falcones zeigt. Sie wollen sich weiter in die fremdartige Welt der Dirnen, Hexen, Ritter und Leibeigenen, der Pest und Cholera, Inquisition und Kreuzzüge entführen und mit Sachwissen über die Epoche füttern lassen. Daneben allerdings, so heißt es in vielen Verlagshäusern, suchen vor allem literarisch anspruchsvolle historische Romane mit einer moderneren Kulisse ihre Nische im Herzen der Leser.
In die Zeit des Umbruchs vor rund tausend Jahren führt Róbert Hász’ Roman „Der Herrscher der Seelen“, ein raffiniert komponiertes Lehrstück über Ränkespiele der Kirche, Legendenbildung und die Macht der Geschichtsschreibung. Ein Mönch gerät ins Fadenkreuz von Intriganten, als er die Wahrheit über die Hintergründe einer Heiligsprechung durchschaut. Ebenfalls im frühen Mittelalter siedelt Martina Kempf ihre neue Geschichte „Die Welfenkaiserin“ an. Dieses Mal steht bei der Karolinger-Spezialistin der Bruderzwist um das Erbe Karls des Großen und die abgöttische Liebe von Karls Sohn Ludwig dem Frommen zu seiner eigenwilligen Frau Judith im Mittelpunkt.
Mittelalterliche Meuchelmorde sind in Ariana Franklins historischen Krimis mit Heldin Adelia garantiert. Dieses Mal, in „Die Teufelshaube“, will ihre Heldin aufklären, wer hinter der Vergiftung der Geliebten des englischen Königs Heinrich II. steckt, eine Aufgabe, die all ihren Mut und ihre Unerschrockenheit herausfordern. Im spätmittelalterlichen Köln leben die Personen von Günter Ruchs „Krüppelmacher“. Es geht um einen skrupellosen Apotheker, dessen Handwerk darin besteht, arme Mitmenschen so zu verstümmeln, dass sie mit umso mehr Erfolg betteln können. Mit drastischen Schilderungen und Sorgfalt im Detail versteht es Ruch, eine gnadenlose Zeit heraufzubeschwören, in der sich alles um den Kampf ums Überleben dreht.
Neben der Düsternis des Mittelalters wird zunehmend auch die Aufbruchstimmung des 19. Jahrhunderts als atmosphärischer Hintergrund für historische Romane entdeckt. Selbst der Welterfolgsautor Noah Gordon („Der Medicus“) wendet sich in seinem neuen Buch „Der Katalane“ diesem Zeitalter zu. Seine Kriminalgeschichte um den tapferen Weinbauern Josep steht in der Tradition der Mantel- und Degen-Abenteuer eines Alexandre Dumas. Nicht mit Wein, sondern Schokolade will Andrea Schacht den Lesern ihren neuen Roman „Göttertrank“ schmackhaft machen. Zuckerbäckerin Anna lebt zu Beginn des 19. Jahrhunderts und nutzt den rasanten Wandel der Zeit, um ihrem Ziel näherzukommen: dem ultimativen Aroma des Kakaogetränks. Auch Petra Durst-Benning macht in ihrer Geschichte vom „Blumenorakel“ ein Mädchen aus dem Volk zur Heldin: Flora betreibt mit Erfolg den Blumenladen ihrer Familie und erlebt inmitten des Glanzes der mondänen Stadt Baden-Baden die große Liebe.
In „Säulen der Ewigkeit“ setzt Erfolgsautorin Tanja Kinkel Sarah Belzoni ein Denkmal, die 1815 als eine der ersten Engländerinnen nach Ägypten reiste und dort ein skandalös freies Leben führte. Den damaligen Glauben an den technischen Fortschritt, aber auch die gesellschaftlichen Umwälzungen fängt Thomas Pynchon in „Gegen den Tag“ ein, eine den Zeitraum zwischen der Weltausstellung in Chicago 1893 und der Beendigung des Ersten Weltkrieges umspannende Fabel, die mit ihrem fast 1800 Seiten nicht ganz einfach zu lesen ist. Peter Behrens’ „Gesetz der Träume“ lässt die Leser teilhaben an dem schweren Schicksal eines 15-jährigen Iren, den es 1846 aus seiner Heimat in die Docks und Bordelle Liverpools verschlägt, bevor es ihn auf die andere Seite der Welt zieht.
Ein für Deutschland unrühmliches Kapitel schlägt Gerhard Seyfried in seinem Werk „Gelber Wind“ auf: die brutalen „Strafexpeditionen“ der Kolonialmächte nach Niederschlagung des chinesischen Boxer-Aufstands 1900/01. In diese grelle Kulisse stellt der Münchner Cartoonist und Autor als Protagonisten einen deutschen Kaufmann, dessen Sohn entführt und dessen Familie von den Aufständischen belagert wird. Zeitgeschichtliche Fakten liegen auch Jürgen Ebertowskis Roman „Hungerkralle“ zugrunde, der in das Berlin des Jahres 1948 entführt. In der Zeit der Währungsreform und zu Beginn des Kalten Krieges trifft der ehemalige Hausdetektiv des Hotels Adlon auf einen alten Widersacher, der 1945 einen verheerenden Brandanschlag auf die Luxusherberge verübt hat.
Auch das Zeitalter des Absolutismus hat es den Verfassern geschichtsträchtiger Belletristik angetan: Tania Douglas lässt in der „Blutlüge“ die höfische Welt des Pariser Louvre wieder aufleben, in der im 17. Jahrhundert ein erbitterter Machtkampf um die Thronfolge entbrannt war. Auch ihre Heldin Isabelle wird durch ihre Liebe zu einem jungen Grafen in das Intrigengeflecht hineingezogen. Währenddessen wird in Margit Schribers wie immer gründlich recherchiertem Roman „Die falsche Herrin“ in Schwyz eine junge Hochstaplerin zum Tode verurteilt, dann aber in letzter Minute gerettet, weil ein junger Gerber sie vom Galgen weg heiratet. Die Schweizer Autorin siedelt die historisch verbürgte Geschichte zwischen Köpenickiade und Emanzipationsroman an, wobei sie zwischen Tragik und Komik die Balance zu halten versteht.
Literaturangaben:
BEHRENS, PETER: Das Gesetz der Träume. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2008. 560 S., 24,90 €.
DOUGLAS, TANIA: Die Blutlüge. Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 484 S., 16,95 €.
DURST-BENNING, PETRA: Das Blumenorakel. Historischer Roman. List Verlag, Berlin 2008. 432 S., 19,90 €.
EBERTOWSKI, JÜRGEN: Hungerkralle. Roman. Rotbuch Verlag, Berlin 2008. 256 S., 19,90 €. (erscheint voraussichtlich im April 2008)
FALCONES, ILDEFONSO: Die Kathedrale des Meeres. Historischer Roman. Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2007. 656 S., 19,90 €.
FRANKLIN, ARINA: Die Teufelshaube. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Droemer Verlag, München. 500 S., 19,95 €. (erscheint voraussichtlich im März 2008)
GORDON, NOAH: Der Katalane. Roman. Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr. Blessing Verlag, München 2008. 496 S., 19,95 €. (erscheint am 11. August 2008)
HÁSZ, RÓBERT: Der Herrscher der Seelen. Roman. Aus dem Ungarischen von Andrea Ikker. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 350 S., 21 €.
KEMPF, MARTINA: Die Welfenkaiserin. Historischer Roman. Piper Verlag, München 2008. 416 S., 19,90 €.
KINKEL, TANJA: Säulen der Ewigkeit. Roman. Droemer Verlag, München 2008. 688 S., 19,95 €. (erscheint voraussichtlich im August 2008)
PYNCHON, THOMAS: Gegen den Tag. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 1760 S., 29,90 €. (erscheint voraussichtlich im Mai 2008)
RUCH, GÜNTER: Der Krüppelmacher. Historischer Roman. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2008. 440 S., 21,90 €. (erscheint voraussichtlich im April 2008)
SCHACHT, ANDREAS: Göttertrank. Historischer Roman. Verlag Blanvalet, München 2008. 640 S., 19,95 €.
SCHRIBER, MARGRIT: Die falsche Herrin. Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2008. 144 S., 17,90 €.
SEYFRIED, GERHARD: Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer. Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 496 S., 24,95 €. (erscheint voraussichtlich im Mai 2008)
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