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Peter Rühmkorf: Empfindsamer Poet und politischer Mahner

Der engagierte Linksintellektuelle bezeichnete den Verlust von Hoffnung als einen Antrieb zum Schreiben

© Die Berliner Literaturkritik, 09.06.08

 

Von Brita Janssen

HAMBURG (BLK) – Er war stets empfindsamer Poet und politischer Mahner zugleich. Seine Werke bewegten sich im „Spannungsfeld von politischer Wirkungs- und persönlicher Ausdrucksästhetik“, befanden einst die Juroren des Büchnerpreises. „Schizografie“ nannte der Autor Peter Rühmkorf, der am Sonntag (8. Juni 2008) im Alter von 78 Jahren in der Nähe von Hamburg starb, einmal seine beiden Schreibantriebe. Von sich selber sagte er: „Ich bin eine bröcklige Existenz, die sich aufgerufen fühlt, sich jeden Tag neu zu verfassen. Das ist geradezu triebhaft bei mir. Ich versuche, in einem Hochspannungsfeld die Balance zu halten. Zwischen Himmel und Erde spanne ich mir selber ein Seil und bemühe mich, nicht herunter zu fallen.“

Rühmkorfs letzte größere Veröffentlichung erschien 2004 mit seinen Tagebüchern aus der Zeit von 1971 bis 1972 unter dem Titel „Tabu II“. Im Jahr 2008 veröffentlichte er, bereits sterbenskrank, noch einmal Gedichte und Gedankensplitter: „Paradiesvogelschiß“. Vieles darin kreiste um die Vergänglichkeit: „Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert.“

Der engagierte Linksintellektuelle, der neben virtuoser Poesie auch immer eine spitze politisch-polemische Feder führte, bezeichnete den Verlust von Hoffnungen als einen Antrieb zum Schreiben. „Das betrifft auch die politischen Hoffnungen und Illusionen. Immer wenn ein politisches Glaubensfeld für mich zusammenbrach, ist hinterher ein besonderer Sog daraus entstanden, aus dem sich dann neue Gedichte entwickelt haben“, sagte er einmal in einem dpa-Gespräch. Das sei auch nach dem Zusammenbruch der APO so gewesen. „In der ganzen politisierten Zeit hatte ich Prosa, aber zehn Jahre keine Gedichte geschrieben. Und als die Zeit abgeschlossen war, und es war wenig Hoffnung übrig geblieben, da klammerten sich alle neuen Hoffnungswurzeln an neue Gedichte.“

Die politische Entwicklung nach der deutschen Einheit und der Umbruch in Osteuropa hatten dem Schriftsteller und Jazzliebhaber eine Zeit lang die „rhetorische Rednersuada“ verschlagen. „Ich habe mich in Prosa fast überhaupt nicht zu den deutschen Dingen geäußert, weil diese irrationalen Vorgänge für mich in nüchterner Prosa nicht mehr zugänglich waren. Ich habe viel Zorn, Wut, Verzweiflung, Sarkasmus und Ironie auf Gedichte verwendet, die sich damit weniger ins Benehmen als ins Unbenehmen setzen“, sagte der 1993 mit dem Büchnerpreis ausgezeichnete Dichter. Rühmkorf war sicher: „Es hat das Verfassen von Kunst auf allen Ebenen etwas mit Therapie, vor allem aber etwas mit Kompensation zu tun.“

Der hagere Autor, der alle Nuancen der Sprache kannte, das Ordinäre ebenso wie das Bildungszitat, und in feinsinnig ausgetüftelten, oft schnodderig klingenden Wortspielen das Schwere leicht machte, litt als Jugendlicher unter pubertärer Magersucht. „Bestimmte Anfechtbarkeiten auf dem gesamten psychosomatischen Gebiet haben sich erhalten – der schwache Magen, schlechter Schlaf und Angst, die sich als Atemnot bis zu Erstickungsanfällen steigern kann“, verriet der sensible Autor einmal. Rühmkorf selber nannte sich einen „autonom herausgebildeten Atheisten aus Widerstand gegen das christliche Mutterhaus“.

Schreiben war für den unehelichen Sohn einer evangelischen Pfarrerstochter und eines reisenden Puppenspielers, den er nie kennengelernt hat, etwas Magisches. „Das Schreiben ist eine Art von Selbstverdoppelung. Man stellt Schatten von sich her, ein zweites Ich, an dem man sich auch aufrecht hält. Eigentlich möchte man immer ein ideales Ich von sich selbst verfassen.“ Und so war ihm Schreiben wohl auch ein Mittel gegen Angst und Unsicherheitsgefühle: „Wenn man merkt, dass es wieder auf so ein ideales Ich zuläuft und ein Gedicht sich vervollständigt und ein Aufsatz sich rundet, dann ist man außerordentlich erhoben und hat gerade der Angst entgegengesetzte Grandiositätsgefühle.“

Gedichte waren für Rühmkorf „ein Klangkörper, der etwas ausdrückt, eine Naturgebärde, ein Naturprodukt wie eine Krankheit oder ein Traum“. Der Autor, der sich selber gerne einen Jäger und Sammler nannte, hatte in seinem Arbeitszimmer mit Blick auf die Elbe Kisten voller Zettel mit spontan festgehaltenen Eindrücken. „Das eine ist die Inspiration. Auf die hat man keinen Einfluss. Da fliegt einem eben unberechenbar etwas zu, so wie Sternschnuppen aus dem Sternbild der Lyra.“


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