Von Carola Frentzen
KLAGENFURT/WIEN (BLK) - Peter Wawerzinek hat jahrzehntelang gebraucht, um das Erlebte und seine erschütternden Erinnerungen in einem Buch verarbeiten zu können. Aber dann war es wie ein Befreiungsschlag. Dass der gebürtige Rostocker jetzt für sein autobiografisches Werk „Rabenliebe“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis sowie dem durch Internetabstimmung ermittelten Publikumspreis ausgezeichnet wurde, muss wie Balsam auf seiner Seele gewesen sein.
„Ich habe gedacht, wenn ich mich schreibend verschenke, entfliehe ich dem Teufelskreis der Erinnerung“, erklärt Wawerzinek zu Beginn des Textausschnitts, den er am Samstag (26.6.) bei dem dreitägigen Vorlesemarathon in Klagenfurt präsentiert hatte. „Schreibend bin ich tiefer ins Erinnern hineingeraten als mir lieb ist.“
Mit 55 Jahren ist Wawerzinek der bisher älteste Preisträger der renommierten Ehrung. 1954 als Peter Runkel in der ehemaligen DDR geboren, flüchteten seine Eltern in den Westen und ließen den Vierjährigen zurück. Nach zehn Jahren in staatlichen Kinderheimen wurde er schließlich adoptiert und wuchs an der Ostsee auf. Nach dem Schulabschluss machte er eine Lehre als Textilzeichner, brach später jedoch sein Studium an der Kunsthochschule ab.
Der heute in Berlin lebende Schriftsteller übte anschließend viele Berufe aus, war als Totengräber und Tischler tätig und machte sich in der Ostberliner Szene in den 80er Jahren als Performance-Künstler und Stegreifpoet einen Namen. Die verlorenen Eltern belasteten jedoch weiterhin sein Leben. Nach dem Mauerfall suchte und fand er seine Mutter. Es blieb aber bei einer einzigen Begegnung. Über seine Gefühle und Erinnerungen geschrieben zu haben, habe eine „riesige Last“ von ihm genommen, sagt Wawerzinek.
„Du bleibst vor Erinnerungspforten, vor verschlossenen Türen, vor Toren von Unmöglichkeit, weil der Alltag Trott und Vorschrift war“, beschreibt der Autor in dem Buch seine Kindheit und sagt, sein Leben kenne keine andere Jahreszeit als den Winter. Das Werk soll im Herbst erscheinen.
Nach der Wende veröffentlichte Wawerzinek eine Reihe von Parodien auf die DDR-Literatur, 1991 wurde er erstmals zum Bachmann-Preis eingeladen und gewann ein Stipendium. Anschließend verfasste er teilweise skurrile, experimentelle Prosatexte über einen Außenseiter in der DDR-Gesellschaft, in der vor allem immer wieder seine engere Heimat Mecklenburg-Vorpommern beschrieben wird. Aber erst mit „Rabenliebe“ kommt Wawerzinek seinem inneren Leid wirklich auf die Spur: „Die Jahre stehen wie Schneemänner in Reihe mit nichts angekleidet als löchrigen Töpfen auf ihren Köpfen und Rüben, wo sonst Nasen im Gesicht stecken.“
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