HAMBURG (BLK) - Der große deutsche Theatermacher Peter Zadek ist tot. Er starb in der Nacht zum Donnerstag in Hamburg im Alter von 83 Jahren, bestätigte das Hamburger St.Pauli-Theater. Zadek, der in den vergangenen Jahren schwer erkrankte, war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Regisseure des deutschsprachigen Theaters der Nachkriegszeit. Als unerschrockener Provokateur des bürgerlichen Bildungstheaters prägte er ein halbes Jahrhundert das Bild der deutschen Theaterlandschaft, viele bescheinigten ihm auch, er habe Welttheater gemacht. Seine meist poetisch-melancholischen oder auch ungestüm-wütenden Arbeiten von Bochum bis Wien markierten Wende- und Höhepunkte in der deutschsprachigen Theatergeschichte. 2008 erhielt der Regisseur Österreichs wichtigsten Theaterpreis, den „Nestroy“, für sein Lebenswerk.
Zadek hatte vor allem mit seinen Shakespeare-Inszenierungen Aufsehen erregt und feierte dabei mit Schauspielern wie Ulrich Wildgruber, Gert Voss, Eva Mattes und Angela Winkler Triumphe. Zu seinen berühmtesten Inszenierungen gehören Shakespeares „Othello“ mit Wildgruber 1976 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg oder das Holocaust-Stück „Ghetto“ von Joshua Sobol mit Ulrich Tukur 1984 (Hamburg/Berlin).
Im Frühjahr 2007 zerschlug sich aus gesundheitlichen Gründen Zadeks Traum von einer eigenen „Shakespeare-Company“. Noch einmal trumpfte der große alte Mann des deutschen Theaters aber 2008 am Hamburger St.Pauli-Theater mit Luigi Pirandellos Parabel „Nackt“ und Anfang Februar 2009 mit George Bernard Shaws Komödie „Major Barbara“ mit einem hochkarätigem Ensemble wie Julia Jentsch, August Diehl und Jutta Lampe in Zürich auf. Die Zürcher Inszenierung war wegen seiner Krankheit bereits verschoben worden.
Am meisten beschäftigt hat den Theatermann die Figur des Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ - „weil ich mich mit der Figur komplett identifiziert habe - als Jude, als Außenseiter und natürlich besonders in Deutschland“. Als Schauspieldirektor beziehungsweise Intendant war der in Italien lebende Zadek in Bremen, Bochum, Hamburg und Berlin tätig, nicht immer mit glücklicher Hand („Intendant will ich nie wieder werden“), aber doch größtmöglichem Echo.
Zadek war einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Regisseure, der von Publikum und Kritik gleichermaßen geliebt wurde. In 40 Jahren Theatertreffen deutschsprachiger Bühnen war Zadek mit mehr als 20 Einladungen ein Spitzenreiter. Sein später Traum, im hohen Alter zusammen mit Tom Stromberg eine eigene „Shakespeare-Company“ zu gründen und noch einmal die großen Schauspiel-Protagonisten seiner Karriere um sich zu scharen, konnte nicht mehr Wirklichkeit werden, die Krankheit machte dem Altmeister einen Strich durch die Rechnung. Aber zwei Bücher voller lebhafter Erinnerungen an seine einzigartig Theaterlaufbahn konnte er vollenden („My Way“ 1998 und „Die heißen Jahre 1970-1980“, erschienen 2006).
Zadeks Lust an der aktuellen Provokation und zeitkritischem Theater ohne erhobenen Zeigefinger wurde vor allem an seiner ungewöhnlichen Mischung neuer theatralischer Mittel deutlich. Als unerschrockener Provokateur des bürgerlichen Bildungstheaters, das er auffrischte wie nur wenige seiner Kollegen, liebte er den Boulevard ebenso wie die Tragödie und verband Revue-Elemente mit dem nackten Grauen wie zum Beispiel in der Revue „Jeder stirbt für sich allein“ nach Hans Fallada oder „Ghetto“ von Sobol.
Es war ein Drahtseilakt, wie ihn kaum ein anderer seines Fachs beherrschte. Den meisten deutschen Theaterleuten fehle „ein großes Gefühl für Showmanship“, meinte Zadek einmal. „Analytisches Polittheater“ oder „Konzepttheater“ war ihm ein Gräuel. „Das ist ein deutsches Unwesen - interessiert auch niemand außerhalb von Deutschland.“
Zu seinen letzten Inszenierungs-Erfolgen gehörten auch Shakespeares „Hamlet“ und „Richard III.“ sowie Henrik Ibsens „Peer Gynt“. Auf der Kinoleinwand war er mit seinen Filmen „Ich bin ein Elefant Madame“ (1968) und „Die wilden Fünfziger“ (1982) vertreten.
Die Karriere des am 19. Mai 1926 in Berlin geborenen Sohns jüdischer Eltern hatte in England begonnen, wohin seine Familie 1933 emigriert war und wo er die Schauspielschule besuchte. 1957 vertraute ihm in London der französische Dramatiker Jean Genet die Uraufführung seines Stückes „Der Balkon“ an, die Zadek schlagartig bekannt machte. Bald danach profilierte sich der Regisseur in seinem Heimatland in Ulm und Bremen an der Seite seiner Mentoren Kurt Hübner und Ivan Nagel, wo er zusammen mit den anderen „jungen Wilden“ des deutschen Nachkriegstheaters wie Peter Stein, Rainer Werner Fassbinder und Peter Palitzsch den „Bremer Stil“ als neue, rebellische Bühnenform kreierte. Sie sollte Theatergeschichte schreiben und prägend für andere Bühnen der Republik werden, untrennbar verbunden auch mit dem Namen Peter Zadek. (dpa/rud/ber)