Von Nada Weigelt
Philip Roth (75) hat seine Helden mit sich alt werden lassen. In seinen letzten Büchern ging es immer wieder um die Angst vor dem Tod, körperlichen Verfall, Impotenz und Gebrechlichkeit – und um die verzweifelten Versuche, dem Alter dennoch zu trotzen.
Mit seinem neuen Roman „Empörung“ („Indignation“) kehrt der wortgewaltige Frontmann der US-Literatur zu seiner Jugend zurück: Im Mittelpunkt steht ein junger Mann, der im kleinbürgerlichen Amerika der frühen fünfziger Jahre wider Willen zum Rebellen wird – ein ebenso verstörendes wie packendes Buch.
Hauptfigur Marcus Messner, wie Roth aus einer jüdischen Einwandererfamilie und im Städtchen Newark in New Jersey geboren, ist ein Sohn wie aus dem Bilderbuch. Obwohl er Blut hasst, hilft er seinem Vater nach der Schule in der koscheren Metzgerei und lernt das Schlachterhandwerk. Als der verehrte Vater jedoch von einem Tag auf den anderen eine krankhafte Sucht entwickelt, den Jungen zu kontrollieren, bricht für „Markie“ eine Welt zusammen. Er flieht, soweit er irgend kann, in ein College im Mittleren Westen – nur um den Erwartungen von daheim noch mehr zu folgen: „Ich wollte Einser schreiben, ausreichend Schlaf bekommen und nicht mit dem Vater kämpfen, den ich liebte.“
Doch dort, in der verstockten Enge des christlich-konservativen Internats, gerät sein Leben zunehmend aus den Fugen. Er kommt mit seinen Kommilitonen nicht zurecht, leidet unter den Vorurteilen gegenüber Juden und gerät in erotische Abhängigkeit zu einer hinreißenden, aber psychisch labilen Geschichtsstudentin. Immer mehr entwickelt er eine obsessive Angst, am College zu versagen und in den Korea-Krieg geschickt zu werden, der inzwischen das zweite Jahr tobt.
Roth lässt Marcus seine Geschichte selbst erzählen – aus einer höchst ungewöhnlichen Perspektive. Denn so ungefähr nach 50 Seiten des schmalen Bändchens erfahren wir wie beiläufig, dass der Held bereits tot ist. Er erzählt aus einem Jenseits, das ihn dazu verdammt, sein Leben immer und immer wieder Revue passieren zu lassen. Der Ausgang der Geschichte ist für den Leser deshalb nicht schwer zu raten: Der Metzgerssohn wird vom Bajonett eines Chinesen geschlachtet – es ist so scharf wie die Messer des Vaters daheim.
Wie es jedoch in einer Abfolge absurder Zufälle zu diesem Ende kommt, das macht die Spannung des Buches aus. Roth schildert das meisterhaft mit einer brillanten, glasklaren Prosa und bitterem Humor. Und dennoch bleibt seine Figur irgendwie konturlos. Warum Marcus, der notorische Ja-Sager und Musterschüler, der sich von seiner Mutter sogar den Umgang mit der begehrten Olivia verbieten lässt, ausgerechnet an einer scheinbar selbstverständlichen Schulregel scheitert – das ist nicht wirklich nachvollziehbar.
Am Schluss ist es seine Wut auf den „blöden Gott“ und die „kriecherischen Lieder“ dieser bigotten Baptistengemeinschaft, die ihm das Genick bricht. Wie sagte sein Vater doch? „Es geht um das Leben, wo der kleinste Fehler tragische Auswirkungen haben kann.“
In den USA stieß „Empörung“, das 29. Buch des Pulitzer – Preisträgers, auf eher verhaltene Kritik. „Die Geschichte liest sich wie ein länglicher, düster-komischer Witz“, urteilte die „New York Times“ gar. „Es ist ein Witz, den Roth großartig und mit Bravour erzählt, aber ein Witz, der am Ende nicht wirklich einen vollwertigen Roman ausmacht.“
Hollywoodproduzent und Oscarpreisträger Scott Rudin („No Country for Old Men“) erwarb gleichwohl bereits die Filmrechte. Und die „Los Angeles Times“ hatte für alle Roth-Fans einen Trost parat. „Ein Zeichen für wirklich große Schriftsteller ist, dass uns sogar ihre Fehler beschäftigen.“
Literaturangaben:
ROTH, PHILIP: Empörung. Carl Hanser Verlag, München 2009. 208 Seiten, 17,90 €.
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