Gefühle bestimmen unser Leben wohl mehr als die Vernunft. Auch Philosophen kommen deshalb nicht um sie herum. In diesem Frühjahr liegt es auf dem Buchmarkt im Trend, dass sich Denker mit existenziellen Emotionen neu befassen. Der Philosoph Klaus-Jürgen Grün, bisher vor allem als Co-Autor des prominenten Gehirnforschers Gerhard Roth bekannt, hat ein Buch über die vielleicht aufwühlendste Emotion geschrieben. Es heißt „Angst. Vom Nutzen eines gefürchteten Gefühls“. Zuvor hatte bereits der Bestseller-Autor Richard David Precht („Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“) das Buch „Liebe – Ein unordentliches Gefühl“ herausgebracht.
Klaus-Jürgen Grün ist als Hobbypilot durchaus Experte für Risiko und Angstfreiheit. Er arbeitet als Privatdozent an der Universität Frankfurt/Main. Er ist außerdem Managerberater und Doktorvater des Publizisten Michel Friedman, der bei ihm einen Dr. phil. anstrebt.
Grün mag umstrittene Thesen, wie etwa die, dass es keinen freien Willen gebe. Keine Frage also, dass er für einen bewussten Umgang mit der Angst plädiert, die er vom Gefühl konkreter Furcht abgrenzt.
„Von einem Zeitalter der Angst, von einem Jahrzehnt der Angst, von einer ‚Angstgesellschaft’ reden inzwischen viele. Aber wir wissen auch, dass die Konfrontation mit der Angst ihre Wirkung abschwächt.“ Nur wer Angst durchschaut, akzeptiert und dann überwindet, kann glücklich leben, so seine These.
Grün entlarvt die heute vielfach herrschenden Ängste vor Terrorismus, Arbeitslosigkeit oder gesellschaftlichem Abstieg als Waffen der Einschüchterung, die bestimmte Interessengruppen einsetzen, um die Menschen vor größeren, echten Gefahren, wie sie etwa vom Straßenverkehr oder der Atomtechnik ausgehen, abzulenken.
Sein Satz „Solange wir Terroristen jagen, müssen wir uns nicht mit der Schwäche des Wirtschaftssystems auseinandersetzen“ lässt an die US-Politik der vergangenen Jahre denken.
Kriege, Terror, Rechtsradikalismus: „Was ein Mensch an Bosheit anderen antut, ist nicht selten der Reflex seiner eigenen Angst“, schreibt Grün. Auch die Religionen, oder vielmehr die allzu naive Religionsausübung, kommen bei Grün schlecht weg, ohne dass er dabei jedoch unangenehm polemisch würde.
Am interessantesten ist Grüns Kapitel über sogenannte moralische Ängste. Laut Grün entstehen sie aus dem Bedürfnis des Menschen, Ängste und feindselige Gesinnungen als freundliche zu kaschieren. So könne dann zum Beispiel aus Neid das angeblich rein gute Streben nach Gerechtigkeit werden. Jeder Kriegstreiber tue so, als müsse er das Gute leider, leider mit Gewalt durchsetzen. „Selbst die übelsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben Täter in den Mantel der Menschenfreundlichkeit hüllen und dadurch mit gutem Gewissen verrichten können.“
Der Erkenntnisgewinn bei Grün ist alltagsnah und aktuell. Seine Beispiele reichen vom Supermarkt-Einkauf bis zum Bankenrettungspaket der Bundesregierung im vergangenen Herbst. Querverweise in die Philosophiegeschichte, zum Beispiel zu Nietzsche, Freud oder Seneca (für Grün der eigentliche Entdecker der Angst) sowie in die moderne Hirnforschung machen das Buch zu einer spannenden, bildenden Lektüre.
Von Gregor Tholl
Literaturangaben:
GRÜN, KLAUS-JÜRGEN: Angst. Vom Nutzen eines gefürchteten Gefühls. Aufbau-Verlag, Berlin 2009. 320 S., 22,95 €.
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