In England nennt man sie „coffee-table-books“, gefällige, meist bebilderte Bände, die von Opernaufführungen, Burgen, Schloßgärten oder Villen in der Toscana handeln: hübsche, gut gedruckte Anlässe für einen small talk, ehe serviert wird. Diese Mode hat sich längst auch bis zu kontinentalen Verlagen herumgesprochen. Schließlich sind solche Bücher willkommene Geschenke. Helge Sobik hat seines über „Picassos Häuser“ (die in der Provence, wo Picasso seit 1948 residierte), in King Size-Format vorgelegt. Fast 2 kg schwer, ist es also eher für einen Dinner-Table geeignet als für einen kleinen Nachmittagstisch.
So gehört es sich, denn: „Sein Leben hatte alles, was ihn zum Helden der Medienwelt bereits in den 1950er und 60er machte: Kunst und Skandal, Erotik und Affäre, wechselnde Ehefrauen, Liebe und Hass, Geld und Glamour. Und die Côte d’Azur! Sie war die sonnenbestrahlte Bühne für die letzten Lebensjahrzehnte von Pablo Picasso. Fünf Häuser kaufte er nacheinander im unmittelbaren Hinterland der französischen Reviera: erst zwei unscheinbare, dann eine prachtvolle Villa, bald darauf ein Schloß und am Ende ein abgeschottetes Herrenhaus im Stil einer Festung. Eine Spurensuche in Südfrankreich, seltene Einblicke in das Leben und Wohnen des größten Künstlers aller Zeiten.“
Sobik trägt dick auf, und das kann er auch in den folgenden längeren Beschreibungen und kurzen Bildlegenden nicht lassen: „Er malte die Seele. Er gab Gefühlen Farben. In Picassos Bildern kann man sein Leben lesen – mit allen Höhepunkten und mit allen Abgründen. Sie sind ein offenes Buch für die Ewigkeit.“ Das klingt nach Illustrierten-Prosa – und ist es auch. Dabei hat Sobik aus der unübersehbar gewordenen Picasso-Literatur vieles extrahiert, was zwar Kenner bereits wissen, von der Kunst weniger affizierte Zeitgenossen aber interessieren könnte. Er schreibt für weithin Unbeleckte und will sie von der Ausnahmeerscheinung des Künstlers überzeugen. In dessen Lebensabschnitts-Geschichten bleibt er angenehm diskret (Erotik und Affären kommen nicht vor), er beschreibt das tägliche Leben in den Häusern so eingehend, wie das jemand kann, der den Giganten selbst nicht mehr erlebt hat. Sobik hat einige der Häuser (oder wenigstens ihre Eingänge und Fassaden) in Farbe fotografiert.
Sonst aber überlässt er die Bühne jenen Großen der Zunft, die mehrfach bei „Picasso zu Hause“ waren, sei es, dass sie seine Freunde gewesen sind wie Edward Quinn und Lee Miller, sei es, dass sie, in wessen Auftrag auch immer, mit der Kamera bei ihm aufkreuzten und, wenn das nur oft genug geschah, neben den jeweiligen Gefährtinnen Francois Gilot und Jacqueline Rocque (die Picasso 1961 heiratete), neben der Ziege Esmeralda, den Hunden, Papageien, Tauben selbst begannen, gleichsam zum Hausstand zu gehören wie Lucien Clergue. Auch Doisneau hat vorbeigeschaut und einmal ist gar sein Biograf Roland Penrose mit einem eigenen Foto vertreten. Aus den letzten Lebensjahren gibt es zahlreiche Fotos von Roberto Oterós, der sich gleichrangig in die illustre Schar berühmter Fotografen einreihte. Erstaunlicherweise fehlt David Douglas Duncan, der langjährige Hausfreund und Kommentator (in Schriften und Bildern). Soll seiner nicht gedacht werden, weil er Picassos Spätwerk (das, wie Sobik richtig bemerkt, erst von der Nachwelt gerecht gewürdigt wurde), für bloße Schmiererei hielt? Oder gab es da Probleme mit den Rechten?
„Um die vorliegenden Fotos zu beschaffen, war außerordentlich hoher Aufwand erforderlich, denn nur ein kleiner Teil der Archive selbst dieser bedeutenden Fotografen ist bereits digitalisiert. Das Gros ihres Materials lagert nur teilweise katalogisiert in speziell ausgebauten Bergwerksschächten und Klimabunkern, um die empfindlichen Originale vor dem Verfall zu schützen.“ Sobik muss hinuntergestiegen sein in die Schächte. Er hat „in detektivischer Kleinarbeit“ seine Auswahl zusammengestellt und klopft sich dafür auf die Schulter. Er konnte auch bisherige Zuschreibungsfehler korrigieren. Noch ein Pluspunkt.
Die Fotos selbst, die er schließlich in seinen Band aufgenommen hat, sind in aller Regel gut ausgesucht, sie schildern die Häuser, ihre Interieurs und die Menschen darin eindrucksvoll – vor allem den Meister — in Situationen und Posen, die in der Tat etwas vom Faszinosum dieses Künstlers begreiflich machen. Manchmal geben sie einen versteckten Tipp, so wenn auf einer Konsole lauter Hüte liegen und darunter auch einer von denen, die Francos „Guardia Civil“ zu tragen pflegte. Man erkennt immer wieder Bilder, die heute in den Museen der Welt hängen (vor allem im „Musée Picasso“ in Paris, das seinen Nachlass als „dation Picasso“ von den Erben bekam, die mit dieser Gabe an das Museum eine Steuerschuld beim französischen Staat beglichen.). Einige wenige hat man vorher nie gesehen; wer weiß wo sie heute sind? Aber die Werke, Gemälde, Grafiken, Plastiken, Arbeiten in Ton sind jeweils nur die Kulisse, vor der sich der Künstler selbst, allein oder mit anderen –meist allein – bewegt, vor denen er sitzt oder steht: in Gedanken versunken oder fröhlich in den verschiedensten Rollen posierend. Er war auch ein glänzender Schauspieler, und wo er es nicht sein wollte, da haben ihn Quinn und Miller, Frank Capa und Doisneau, Clergue und René Burri im richtigen Moment „erwischt“.
Sobik hat diese „sprechenden“ Fotos gewollt und gefunden. Der kleine Mann mit dem fast kahlen Kopf eines spanischen Bauern, den kohlschwarzen Augen und der bis ins hohe Alter beweglichen Gestik wird auch denen vertraut, die ihn bis dahin nicht kannten. Und auch wieder nicht: es bleibt ein unauflösbarer Rest, etwas, was der Künstler für sich behalten wollte. Darum schaut er einen auf so vielen Bildern direkt an: gebt Acht, ich bin es, aber glaubt ja nicht, Ihr hättet mich nun erfasst! Wir sehen Picasso nur selten bei der Arbeit (etwa zu dem Clouzeau-Film), häufiger beim Vorzeigen seiner Werke und vor allem als Person, die sich seine Umgebung untertan gemacht hat, sie als eine Erweiterung seiner Kleidung sah und als passendes Gehäuse für das, was er machte. Nur im Schloß Varvenargues ist ihm das nicht gelungen, das düstere Gebäude blieb ihm fremd, er konnte es nicht füllen und ist bald weiter gezogen in seine letzte Bleibe, nach Mougin ins „Mas Notre-Dame de Vie“. Auch dies ein großes Haus, aber gleichwohl überschau- und füllbar. Mittlerweile werden alle die Häuser neuen, modernen Bestimmungen zugeführt, selbst Vauvenargues ist seit 2009 für angemeldete Besucher zugänglich, soll vielleicht ein Museum werden. Nur eines ist nicht passiert, nämlich das, was Picasso zu Lebzeiten mit all seinen Behausungen machte: er verriegelte sie und zog weiter. Das private Leben, das in vielen dieser Fotos wenigstens vorstellbar wird, ist mit seinem und Jacquelines Tod entwichen. Wir haben nur noch die Fotos und den Mythos. Picasso und seine Frau liegen am Fuß der Freitreppe von Schloß Varvenargues begraben. Diese Fotos überleben als stillgestellte Erinnerung den, der ihr Gegenstand war.
Literaturangabe:
SOBIK, HELGE: Picassos Häuser. Feymedia Verlagsgesellschaft, Düsseldorf 2009. 272 S., Großformat, 95 €.
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