WUPPERTAL (BLK) - Die große Avantgardistin des Tanztheaters, Pina Bausch, ist tot. Die international gefeierte Choreographin und Chefin des Wuppertaler Tanztheaters starb am Dienstagmorgen im Alter von 68 Jahren. Das teilte die Sprecherin des Theaters mit. Die mit höchsten Preisen ausgezeichnete Bausch erlag einem Krebsleiden. Die Erkrankung sei erst vor fünf Tagen bei ihr festgestellt worden, sagte die Sprecherin. Noch am Sonntag vor einer Woche habe Bausch mit ihrem Tanzensemble im Wuppertaler Opernhaus auf der Bühne gestanden. Unter ihrer Leitung wurde das Wuppertaler Tanztheater, wo sie seit 1973 als Chef-Choreographin wirkte, weltberühmt.
Vertreter von Politik und Kultur reagierten bestürzt auf den überraschenden Tod der Künstlerin. Bundespräsident Horst Köhler schrieb an Rolf Salomon, den Sohn Bauschs, Deutschland habe eine Tänzerin und Choreographin von Weltrang verloren und nicht zuletzt eine herausragende Repräsentantin der Kulturnation. „Pina Bausch hat mit ihren Choreographien Bomben gesetzt“, sagte der Intendant des Hamburg Balletts, John Neumeier, in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Pina Bausch galt mit ihrem Ensemble seit langem international als eine der wichtigsten Vertreterinnen der neuen deutschen Tanzkunst. Noch Mitte Juni war die Uraufführung von Bauschs neuem Tanzabend im Wuppertaler Opernhaus vom Publikum gefeiert worden. Der Regisseur Wim Wenders wollte im September mit Bausch einen Film drehen.
1940 im nordrhein-westfälischen Solingen als Tochter eines Gastwirts geboren, studierte sie bereits mit 14 Jahren bei Kurt Jooss an der Essener Folkwangschule. Nach ihrem Abschluss wechselte sie an die berühmte Juilliard School in New York. 1962 kehrte Bausch nach Deutschland zurück, wo sie mit eigenen Choreographien auf sich aufmerksam machte.
Als Direktorin des neugegründeten Tanztheaters Wuppertal schuf sie seit den 1970er Jahren rund 40 abendfüllende Werke und wurde mit internationalen Auszeichnungen und Preisen überhäuft. 2007 erhielt sie für ihr Lebenswerk in Tokio den Kyoto-Preis sowie den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig. 1982 übernahm sie eine Rolle in Federico Fellinis Film „E la nave va“. Einen eigenen Kinofilm brachte sie mit „Die Klage der Kaiserin“ 1990 heraus.
Mit ihren radikalen Choreographien verstörte Bausch seit den 1970er Jahren ihr Publikum. Zentrale Themen sind Angst, Tod, Liebe und Sehnsucht. Was die Menschen bewegt, das interessiere sie viel mehr als wie sie sich bewegten, sagte Bausch einmal.
In Wuppertal erregte sie zuerst mit ihren Tanzversionen von Gluck- Opern und Strawinskys „Sacre du Printemps“ Aufsehen. Ihre radikale tänzerische Umsetzung der Bartok-Oper „Herzog Blaubarts Burg“ (1977) wurde vom Publikum mit Türenknallen quittiert. Choreographie, Kostüme und Musik der Bausch-Produktionen brachen radikal mit gängigen Vorstellungen.
Der aus Amerika stammende weltbekannte Choreograph und Tänzer John Neumeier sagte auf die Nachricht vom plötzlichen Tod Bauschs: „Das ist ganz schockierend, eigentlich unvorstellbar.“ Der 67-Jährige betonte: „Sie hat die ganze Tanzwelt mit ihren Werken regelrecht geschüttelt, es waren sehr offene, ehrliche Arbeiten.“
Auch Regisseur Wenders (63) zeigte sich geschockt. „Ihre Arbeit war und ist und bleibt einmalig“, sagte er in Berlin nach Angaben seiner Agentur „Just Publicity“. „Ich bin untröstlich, dass wir unseren so lange geplanten gemeinsamen Film zu spät angegangen sind.“ Vladimir Malakhov, Erster Solotänzer und Intendant des Berliner Staatsballetts, sagte: „Die Welt hat eine der wichtigsten Choreographinnen verloren.“ Pina Bausch sei nicht nur eine großartige Tänzerin gewesen, „sie war auch ein wundervoller Mensch mit einem großen Herzen.“
Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) nannte Bausch die bedeutendste Choreographin der Gegenwart. Auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) würdigte Bausch als eine der größten Künstlerinnen Deutschlands. „Sie hat die Sicht auf das Tanztheater völlig neu erfunden“, sagte er. Wuppertals Oberbürgermeister Peter
Jung (CDU) hob zum Tod der Ehrenbürgerin hervor, dass sie der Stadt stets tief verbunden geblieben sei.
Der Leiter des Tanztheaters Münster, Choreograph Daniel Goldin wollte laut einer Mitteilung die Vorstellung am Dienstagabend „der einzigartigen Künstlerin und Choreographin Pina Bausch“ widmen. Der Stuttgarter Choreograph Christian Spuck sagte: „Ihr Werk ist beseelt von einer Menschlichkeit und Aufrichtigkeit, die mich unendlich tief berührt hat.“
Auch die Leitung des Internationalen Tschechow-Theaterfestivals in Moskau bedauerte ihren Tod. Pina Bausch sollte am 13. Juli eine große Pressekonferenz in der russischen Hauptstadt geben, anschließend stehen bei dem Festival vier Gastspiele des Stücks „Die sieben Todsünden“ ihrer Compagnie auf dem Programm. Der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë sprach von einer „wahren Liebesgeschichte“ zwischen Paris und Pina Bausch „zum großen Glück unserer Stadt“. Venedigs Theater La Fenice setzte nach der Todesnachricht die Flaggen vor dem Haus auf halbmast. Am Mittwoch sollte in einer Schweigeminute der Künstlerin gedacht werden. (dpa/rud/ber)