Wie erobert man eine schöne Frau? Mit Charme? Mit einem Körper wie Adonis? Oder vielleicht doch nur mit dem schnöden Mammon? Vielleicht. Aber was macht man, wenn man all diese Dinge nicht zu bieten hat? Dann helfen nur noch gute Ideen, besser noch verworfene Ideen. Und von diesen hat Jakob Hein in seinem neuen Roman mehr als genug im Gepäck. Besser gesagt seine Romanfigur Boris Moser, der verworfene Ideen aller Art sammelt, um sie anderen anzubieten oder sie so miteinander verknüpfen möchte, das aus ihnen eine erfolgreiche Idee wird. Allein dieser Idee gebührt schon das Lob des Lesers.
Denn er wird von ihr ebenso magisch angezogen wie „diese Frau mit dem langen kastanienbraunen Haar, den hell leuchtenden Augen und dem mit einem Hauch von Violett geschminkten Mund“, die Mosers eben erst eröffnete Ideenagentur betritt. Aus Neugier auf den kauzigen Typen, der sie schon bald zu fesseln vermag und zwar mit einem der vielen verworfenen Romananfänge, den er weiter und weiter spinnt. Und so entstehen auf einer fast surrealen zweiten Ebene lose mit einander verwobene Geschichten. Etwa um die geheimnisvolle Sophie, die anderen Menschen als Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte betrachten. Sophie ihrerseits ermuntert allein durch ihre Anwesenheit einen erblindeten und misanthropen Schriftsteller zu erstaunlichen Bekenntnissen. Welche wiederum in seinen letzten Roman münden, der als originelle Faust-Variante angelegt und ausformuliert wird.
Jede dieser fabulierten Episoden besitzt im Kern das Potenzial zu einem größeren Werk. Aber Hein hat ganz anderes damit im Sinn. Sie sind ein literarisches Plädoyer für das Weiterspinnen scheinbar nutzloser Ideen. Eine Ermutigung, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, tiefer in der eigenen Seele zu schürfen und neue Welten zu entdecken. Aber vielleicht auch Anlass, sich selbst zu entdecken, sich selbst besser verstehen und kennen zu lernen. Dazu bedarf es als Katalysator freilich nicht unbedingt einer Traumfrau. Doch ihre Liebe und Aufmerksamkeit zu erlangen, erleichtert das Träumen und Erzählen ungemein. Ganz zu schweigen davon, dass wir gespannt sind, ob Boris sie mit seinen Geschichten erobern wird oder nicht. Das nur am erzählerischen Rande.
Den Leser hat er mit diesem Buch auf jeden Fall erobert. Wenn auch nur mit der Fiktion, dass wir mit der Fiktion unser Leben eventuell angenehmer und freier gestalten können. Von dieser Hoffnung aber leben Literaten und ihr Publikum. Und Hein reflektiert dieses Verlangen und gestaltet es in einprägsamen Motiven und Charakteren aus. Und zwar mit einer solchen Leichtigkeit und einem solchen Selbstverständnis, dass wir ihm erstaunt folgen und wissen wollen, wie es weitergeht. Schließlich verspricht das letzte Kapitel zugleich ein Ende und einen Anfang“. Hein wird dafür schon längst tausend neue Ideen gesammelt haben, mit denen er uns zum Lesen und Nachdenken verführen wird. Hoffentlich verwirft er nicht allzu viele davon.
Literaturangaben:
HEIN, JAKOB: Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht. Roman. Piper, München 2008, 176 Seiten. 16,90 €.
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