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Nur der Verstand!?

Dominique Moïsi will wissen, wie sehr die Weltpolitik von Gefühlen gelenkt wird

© Die Berliner Literaturkritik, 04.01.10

MÜNCHEN (BLK) – Dominique Moïsis Buch „Kampf der Emotionen“ wurde im September 2009 vom DVA Verlag veröffentlicht.

Klappentext: In den 1990er Jahren prägte Samuel Huntington den Begriff des „Clash of Civilizations“. Die Welt werde gespalten durch kulturelle Unterschiede und Ideologien. Der französische Politologe Dominique Moïsi dagegen konstatiert in seinem brillanten Buch einen weltweiten Kampf der Emotionen. Während die Amerikaner und die Europäer um ihre nationale Identität ringen und – vor allem seit dem 11. September 2001 – in einer Kultur der Angst leben, ist die muslimische Welt gefangen in einem Gefühl der Beschämung. Konfrontiert mit der westlichen Moderne, steckt der Islam in einer tiefen Krise, sieht sich als Hauptverlierer der Globalisierung. Diese Kultur der Demütigung aber verwandelt sich zunehmend in eine Kultur des Hasses. Asien dagegen ist erfüllt von Hoffnung und Optimismus. Diese drei grundverschiedenen Gefühle treffen mit großer Wucht aufeinander und prägen die Weltpolitik stärker als kulturelle Unterschiede. Anschaulich und überzeugend zeigt Moïsi, wie dieser Konflikt zu entschärfen ist und wie sich daraus eine neue Weltordnung entwickeln kann.

Dominique Moïsi, geboren 1946, unterrichtete Politische Wissenschaften u. a. an der Harvard University und an der „Ecole National d’Administration“. Er ist zur Zeit stellvertretender Direktor des französischen Instituts für internationale Beziehungen (IFRI) und schreibt regelmäßig für „Financial Times“, „Foreign Affairs“, „Die Welt“ und „Der Standard“. (olb/ros)

Leseprobe:

©DVA©

Der Vorfall ist ein weiterer Beleg für die anhaltende Macht von Symbolen – in diesem Fall Symbolen der Demütigung – und ihre Fähigkeit, noch Jahrhunderte später Emotionen wachzurufen und dadurch das Verhalten von Menschen zu steuern. Schon der Titel dieses Buches – Kampf der Emotionen (im englischen Original: Th e Geopolitics of Emotion) – wird vielen Kritikern als reinste Provokation, wenn nicht gar als ein Widerspruch in sich erscheinen. Denn geht es in der Geopolitik nicht um Vernunft , um objektive Gegebenheiten wie Grenzen, ökonomische Ressourcen, militärische Macht und kaltes politisches Interessenkalkül? Emotionen dagegen gelten ihrem Wesen nach als subjektiv, wenn nicht vollkommen irrational. Emotionen und Geopolitik zu vermengen ist dann ein nutzloses, vielleicht sogar gefährliches Unterfangen, das letztlich in den Abgrund jenes Wahns führt, wie ihn die Volksmassen in Nürnberg verkörperten, zu jener Zeit, als Deutschland unter Hitler in der Barbarei versank. Vielleicht ist es so. Aber wir haben alle noch immer den vollkommenen Gegensatz zu diesem Ausbruch emotionaler Grausamkeit vor unseren Augen: Bundeskanzler Willy Brandt, der am 7. Dezember 1970 in Warschau vor dem Denkmal für Märtyrer des Ghetto-Aufstands auf die Knie fiel und in stiller Andacht um Vergebung bat. Diese machtvolle symbolische Geste war für die Versöhnung Deutschlands nicht nur mit der jüdischen Welt, sondern mit der Welt insgesamt und letztendlich mit sich selbst, wichtiger als jeder Reparationsvertrag. Aus diesem Grund basiert dieses Buch auf einer doppelten Überzeugung. Erstens: Man kann die Welt, in der wir leben, nicht wirklich verstehen, wenn man nicht ihre Emotionen berücksichtigt und sie zu verstehen versucht. Und zweitens sind Emotionen wie Cholesterin, sowohl nützlich als auch schädlich. Das Problem besteht darin, das richtige Gleichgewicht zwischen ihnen herzustellen. Im November 2008 gewann, zumindest eine Zeitlang, die Hoff nung die Oberhand über die Angst. Die Mauer rassistischer. Vorurteile fiel, so wie knapp zwanzig Jahre zuvor die Mauer der Unterdrückung in Berlin gefallen war. Offenkundig gab es objektive, vernünft ige Gründe für den Wahlsieg Obamas. Die gängige politische Betrachtungsweise sieht in diesem Sieg die Ablehnung jener Politik, die die Vorgängerregierung während einer Zeit, die von langwieriger Kriegführung und einer schweren Wirtschaft skrise geprägt war, verfolgt hatte. Doch sollte man die emotionale Dimension dieser Wahl und das Gefühl des Stolzes, das sie in vielen Amerikanern geweckt hat, nicht unterschätzen. Desgleichen kann man die militärischen Abenteuer Russlands im Kaukasus im Sommer 2008 nicht richtig einordnen, wenn man deren emotionale Bedeutung verkennt. Die Botschaft, die das Moskauer Regime unter Führung von Putin und Medwedew nicht nur an die Adresse der Georgier, sondern an die gesamte Welt richtete, war unmissverständlich: „Das imperiale Russland ist wieder da! Nach 1989 habt ihr es gewagt, auf uns herabzublicken. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wir sind bereit, die Erniedrigung der postsowjetischen Ära hinter uns zu lassen und unsere neugeborene Hoffnung auf dem Fundament eurer Angst zu errichten.“ Im selben Sommer 2008 bemühte sich ein weiteres Regime darum, vergangene Demütigungen auf der globalen Bühne zu überwinden, allerdings nicht durch militärisches Abenteurertum, sondern mithilfe internationaler Sportwettkämpfe. China forderte als Gastgeber der Olympischen Spiele auf symbolische – und emotionale – Weise seine ehedem zentrale Stellung in der Weltgeschichte und die Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft wieder ein. Durch die spektakuläre Eröffnungsfeier, die architektonische Schönheit des Olympiastadions und die vielen Medaillen, die chinesische Sportler gewannen, bestand China die Aufnahmeprüfung in die Moderne und erreichte, begleitet vom Schwung atemberaubender Wachstumsraten, einen neuen Gipfel der Hoffnung.

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Literaturangabe:

MOÏSI, DOMINIQUE: Kampf der Emotionen. DVA Verlag, München 2009. 240 S., 19,95 €.

Weblink:

DVA Sachbuch


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