MOSKAU/BERLIN (BLK) – Politiker und Kulturschaffende haben Werk und Wirken des verstorbenen russischen Schriftstellers und früheren Dissidenten Alexander Solschenizyn als wegweisend gewürdigt. Solschenizyns Vermächtnis „kämpferischer Wahrheitssuche wird als Maßstab für moralisches Gewissen in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingehen“, betonte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) am Montag (4. August 2008). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte: „Die weltweite Anerkennung für dieses Werk spricht für sich.“ Zugleich wurde aber auch Kritik an dem Literaturnobelpreisträger laut.
Der frühere Dissident werde in die Geschichte eingehen als einer der ersten, die die Brutalität und Unmenschlichkeit des Stalin-Regimes öffentlich und rigoros angeprangert haben, sagte der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow. Der Beitrag Solschenizyns zum Sturz des Totalitarismus' sei „nicht hoch genug zu schätzen“, sagte Gorbatschow nach Angaben der Agentur Interfax. „Er hat bis zum Ende seines Lebens dafür gekämpft, dass Russland seine totalitäre Vergangenheit hinter sich lässt, eine würdige Zukunft hat und zu einem freien und demokratischen Land wird. Wir schulden ihm viel“, betonte Gorbatschow.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lobte den Schriftsteller als „eine der stärksten Stimmen für die Menschenrechte“. „Sein Vermächtnis ist es, intellektuell den Weg bereitet zu haben zur Befreiung der östlichen Hälfte Europas.“ Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte den Autor einen „leidenschaftlichen Streiter für Menschenrechte und Freiheit“.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy erklärte, der Literaturnobelpreisträger sei „eine Romanfigur, ein Erbe Dostojewskis, der in den Pantheon der Weltliteratur gehört“. Die für den Literaturnobelpreis zuständige Schwedische Akademie würdigte Solschenizyn als einen der wichtigsten Autoren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Dagegen äußerte sich der Publizist und Historiker Wolfgang Leonard mit einem kritischen Unterton über seinen russischen Kollegen. „Solschenizyn war tief verwurzelt in der russischen Geschichte, kritisch zu westlichen Systemen – vor allen Dingen zum westlichen demokratischen Mehrparteiensystem – das war ja für ihn verhasst“, sagte der Russland-Experte im Radiosender MDR INFO. „Er war ja kein Demokrat, aber er war ein Gegner des Kreml-Systems, des früheren. Was sich unter (Wladimir) Putin ereignet hatte – eine nicht-kommunistische autoritäre Herrschaftsform – hat seinen eigenen Auffassungen doch sehr entsprochen.“
In seiner Heimat lobte die russisch-orthodoxe Kirche Solschenizyn als großen Vordenker für künftige Generationen. Solschenizyn habe Politik und Gesellschaft nicht nur kritisiert, sondern auch praktische Wege für ihre Entwicklung aufgezeigt, sagte der Sprecher des Moskauer Patriarchats, Wsewolod Tschaplin.
Der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Memorial, Arseni Roginski, würdigte den Regimekritiker als Gründer der Bewegung für die Aufarbeitung der Stalin-Verbrechen in Russland. Ohne die Werke des weltweit geschätzten Schriftstellers sei eine Rehabilitierung der Opfer heute nicht möglich. „Er hatte nie Angst davor, mit seinem Kampf und seiner Meinung alleine dazustehen“, sagte Roginski.
Dagegen kritisierte Kommunistenchef Gennadi Sjuganow, dass die Arbeiten des Autors nicht immer objektiv gewesen seien. „Ich denke, dass seine Bewertung der frühesten sowjetischen Epoche doch tendenziös und einseitig war“, sagte Sjuganow nach Angaben der Agentur Interfax. Gleichzeitig nannte er Solschenizyn einen „talentierten Menschen“, der für sein Land das Beste gewollt habe. Die Kommunisten sind im russischen Parlament vertreten. Solschenizyn starb am Sonntagabend (3. August 2008) 89-jährig in Moskau. (dpa/vol)