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Polyphonie in Böhmen

Pavel Kohouts Roman „Der Fremde und die Schöne Frau“

© Die Berliner Literaturkritik, 02.04.12

KOHOUT, PAVEL: Der Fremde und die Schöne Frau. Roman. Aus dem Tschechischen von Silke Klein. Osburg Verlag, Berlin 2011. 286 S., 19,95 €.

Von Volker Strebel

Der 1928 in Prag geborene Pavel Kohout ist ein tschechischer Schriftsteller, dessen Werk in dutzende Sprachen übersetzt ist. Vor allem als Dramatiker hat er sich einen Namen gemacht, seine Stücke werden weltweit aufgeführt. Der vorliegende Roman „Der Fremde und die Schöne Frau“, soviel sei vorwegnehmend bereits angemerkt, hätte seine Wirkung als Theaterstück mit Sicherheit ausdrucksvoller zur Entfaltung bringen können, als in den dargebotenen 64 Kapiteln.

Die Ausgangsposition auf dieser böhmischen Bühne: Frau Rosa Čechová, eine verwitwete Dame, Anfang sechzig, aber immer noch so bewundernswert schön, daß sie von allen nur die „Schöne Frau“ genannt wird, lebt alleine mit ihrem Papagei Valtr in der nordböhmischen Stadt S. nahe am Fluß F. Sie bewohnt die Villa, die sie von ihren Eltern geerbt hatte.

Bereits ihre Familie hatte einen gewaltigen Wandel der Zeiten erlebt: die erste tschechoslowakische Republik, Besatzung durch die deutsche Okkupation und nach dem Krieg die bleierne Zeit des „real existierenden Sozialismus“. Wie eine Illustration lassen sich dieser Wandlungen am Aushang des Gasthauses „U Malešíka“ in der Nachbarschaft ablesen: während des Krieges trug es das Schild „Gasthaus Priebe“ und in der sozialistischen Zeit die schmucklose Aufschrift „Speisekooperative“. In den Tagen, an denen dieser Roman spielt, wird die Schöne Frau dadurch überrascht, daß neue schwarzhaarige Besitzer eine neue Tafel anbrachten: „Auf dem Schild prangten eine blaue Moschee mit Minaretten und die goldene Aufschrift „ISTANBUL“.

Das Umfeld des Viertels, in welchem die Schöne Frau wohnt, ist zweifelsohne in einem gewaltigen Umbruch begriffen. Während die Fassaden früherer Bürgerhäuser zerbröseln, bewohnen zunehmend Migranten und auch „sozial Unangepasste“, in Tschechien der Euphemismus für Sinti und Roma, das Viertel. Eine durchaus aktuelle und zuweilen höchst umstrittene Problematik in den böhmischen Ländern von heute!

Pavel Kohout hatte sich nach dem Abstreifen seiner ideologischen Verblendung in den 1950er Jahren nie gescheut, sogenannte „heiße Eisen“ anzupacken. So wagte er es zum Beispiel bereits im Vorfeld des legendären „Prager Frühling“ von 1968, auf dem IV. Tschechoslowakischen Schriftstellerkongreß einen offenen Brief des verfemten russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn vorzutragen – ein offener Affront gegenüber den Dogmatikern der kommunistischen Kulturbürokratie.

In der nordböhmischen Stadt S. betritt eines Tages Kemal Ötcölan, ein kurdischer Immigrant, den Schauplatz der Villa der Schönen Frau, als er für sich und seinen Perserkater eine Wohnung sucht. Geradezu theatralisch wird dessen Auftritt vor dem Haus der Schönen Frau inszeniert: „Die Romakinder hörten auf, an der ausgeraubten Gottesmarter mit Lumpenbällen zu spielen, die jungen Türken im Hof des verfremdeten Gasthauses U Malešíka stellten das Messerwerfen ein, die Vietnamesen im ehemals tschechischen Lebensmittgeschäft, der Bosnier in der verschwundenen Apotheke und weitere Neuzuzügler beobachteten den Fremden, der vom Beifahrersitz ausstieg“. Rosa Čechová ist hin- und hergerissen, ob sie diesem fremden Mann, den sie Herr Etschelan nennt, die Parterre-Wohnung vermieten soll. Allzu viel Wahlmöglichkeiten hat sie jedoch nicht, da Tschechen dieses Viertel immer mehr meiden.

Die Dinge entfalteten sich Schritt für Schritt entsprechend ihrer innewohnenden Logik. Eins fügte sich zum anderen, gegenseitig auftretende Mißverständnisse reichten nicht aus, um ein unweigerliches Näherkommen der beiden Protagonisten samt ihren tierischen Anhängen zu verhindern.  

Betrüblicherweise bleiben dabei Klischeevorstellungen im theatralischen Sinne nicht aus, wenn der kurdische Mieter seine Vermieterin zu ihrem Geburtstag überrascht: „Ihr zu Füßen begann ein Spalier großer Zweige aufgeblühten Flieders, das die Treppe hinab in das Erdgeschoss säumte und an der Küchentür endete“. Und als die Beglückte ihren Mieter darauf aufmerksam macht, daß man hierzulande nicht einfach Blumen aus öffentlichen Anlagen pflücken dürfe, zieht der Verdächtigte unverzüglich ein amtliches Dokument aus der Tasche, das ihm genau dieses zugesteht, da er sich im vergangenen Winter beim Laubrechen zur Verfügung gestellt hatte.  

Zum Ende belegt Pavel Kohout, daß er ein genügend gewiefter Schriftsteller ist, um der ausgelegten Schlinge eines romantischen Happy-End zu entgehen. Im letzten Kapitel greift der auktoriale Erzähler wieder einmal in das Geschehen ein, um den geschätzten Leser auf das fünfte Kapitel zu verweisen. Dort ist eindeutig ein Wesensmerkmal der Rosa Čechová beschrieben, die ihr Leben in doppelter Form wahrnimmt und verarbeitet. Neben dem unmittelbaren Erleben bleibt ihr immer auch der Traumzustand als wichtige Instanz, mit sich und der Welt ins Reine zu kommen. Somit birgt all die zugespitzte Tragik, die in dem Roman in aller realistischen Dramatik beschrieben wird, immer auch die Möglichkeit einer Ausflucht in das Nicht-Geschehene. Das Ende trägt somit einen neuen Anfang in sich! Kein schlechtes Ergebnis für einen etwas unglücklichen Roman.


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