Werbung

Werbung

Werbung

Positiv antipathisch

Umberto Eco entdeckt uns als unsympathisch

Von: DR. JOS SCHNURER - © Die Berliner Literaturkritik, 18.04.07

 

Der italienische Schriftsteller und Semiotiker Umberto Eco ist uns nicht nur bekannt durch den Bestseller „Der Name der Rose“, sondern auch als ein „Einmischer“ in die Imponderabilien unserer Zeit und der Welt, die sich immer interdependenter, unkalkulierbarer und offensichtlich inhumaner entwickelt. Dabei ist ein sympathischer Zug, dass Eco die Unwägbarkeiten nicht als natur-, fundamental- oder machtgegeben hinnimmt, sondern fordernd, mahnend und „trotzdem“ da steht.

Dass eine solche Eigenschaft bei den Mächtigen und Profiteuren dieser Entwicklung nicht gerade wohl gelitten ist, versteht sich. Und dass das, was Eco „positive Antipathie“ nennt, den Menschen zum Träumen und zur „positiven Subversion“ (Hans A. Pestalozzi) veranlasst, schafft eine Vision für eine Zeit „nach der Katastrophe“, die wohl unabweislich ist in der Menschheits- und Weltgeschichte. So stellt sich Umberto Ecos Denken dar als eine Mischung aus Kassandra und Esperanza.

Das Warum des Menschlichen

„Im Krebsgang voran“ ist eine Sammlung von rund 75 Zeitungsartikeln, Notizen, Vorträgen und Zeitungskolumnen (L’Espresso), die Umberto Eco in den Jahren von 2000 bis 2005 verfasst hat. Er gliedert sie in insgesamt acht Abteilungen: Krieg, Frieden und Anderes; Stationen eines Regimes; Rückkehr zum großen Spiel; Rückkehr zu den Kreuzzügen; Die Summa und der Rest; Der ewige Rassismus und Gaudeamus Igitur. Die ganze Bandbreite menschlichen Agierens zeigt sich hier, die Fülle der Horrorszenarien der Bestialitäten und Rassismen, der Kalten und Heißen Kriege, bis hin zum „Frieden als Beispiel“, der als „lokaler Friede“ beginnen muss, um vielleicht in eine globale Befriedung der Menschheit zu münden.

Die Vielfalt seiner Gedanken und Einmischungen fasziniert, und man ist beinahe versucht zu fragen: Ist es die Aufgabe und Funktion eines Schriftstellers und eines Intellektuellen, die Pfeife zur Revolution zu blasen, oder „über dem Getümmel zu stehen“? Seine Position beschreibt Eco, indem er sich auf den Turiner Rechtsphilosophen Norberto Bobbio bezieht, als „Sprechende Grille“ für die es „eine gute Portion Pessimismus (braucht), wenn nicht des Willens, so doch der Vernunft“. Im intellektuellen Diskurs über das Warum und das Sosein des Menschlichen wird, in der Zeit der Globalisierung, die Überschreitung der Grenze als ein signifikantes Tun und Sakrileg aufgefasst. Das „globale oder TV-Dorf“ hat das, was bisher im moralischen Denken der Menschen Schutzschild und Grenze war, die Privatsphäre nämlich, aufgelöst. Entstanden ist nicht eine mögliche soziale Kommunität, sondern die Zerstörung der Diskretion und der Korrektheit.

Verwirrung unterm Himmel

Für Eco ist der Mensch ein „homo politikus“, wenn er ein „homo demokratikus“ ist. Die politische Entwicklung in seinem Land während der Berlusconi-Regierung geißelt er deshalb auch als „Anomalie“ und bezeichnet sie als „De-facto-Regime“. Folgerichtig mischt er sich ein und wird mit seinen zahlreichen Beiträgen und Aufrufen zum Anführer des „Antiberlusconismus“, zum Verfechter einer demokratischen Opposition und zum Warner vor einem „medialen Populismus“. Spätestens an dieser Stelle sind seine Positionen zu den „italienischen Verhältnissen“ übertragbar!

Überhaupt: Will man bei den „Unübersichtlichkeiten“ sichtlich bleiben, geht es darum, die richtigen Begriffe zu benutzen und sich der Fallstricke bewusst zu sein, die Benennungen von gesellschaftlichen und politischen Problemen bedingen können. „Der Krieg raubt einem den Verstand“ – das war in den alten und den kalten Kriegen so, und es bleibt auch bei den neuen und heißen Kriegen, wie etwa im Irak und anderswo. Um sich einmischen zu können, muss man Vor-Sicht walten lassen; oder, wie der Volksmund sagt: Erst denken, dann handeln!

Die Auseinandersetzungen mit den –ismen der Welt, Fundamentalismus, Rassismus, bedarf kritischer Fragen und nicht von vornherein der Erwartungen, auch überall die „richtigen“ Antworten zu finden. „Groß ist die Verwirrung unter dem Himmel“, sehr wohl. Aber was ist, wenn die tatsächliche Machtfrage gestellt wird? Wenn einer wie Eco anzweifelt, dass es keine Tatsachen gäbe, sondern nur Interpretationen? Dann werden die Geschützfeuer der öffentlichen Meinungen und Gegenpositionen in Stellung gebracht und es wird abgeprotzt.

Dabei kommen Rassismen, Höherwertigkeitsvorstellungen und ethnozentristisches Denken meist nicht im sichtbaren rassistischem Gewand daher – da wäre es einfach, sich mit ihnen auseinanderzusetzen – sondern vielfach in philiströser Verkleidung. Sie beginnen nicht selten mit dem Satz: „Some of my best friends“, und sie werden fortgeführt mit einem „but“, das zu einem destruktiven Aber in der gesellschaftlichen und politischen Kommunikation wird. Es bleibt ein „rhetorisches Zugeständnis“, in dem das Gift der Verallgemeinerung steckt.

Das Labyrinth der Globalisierung

Mit Vorhersagen oder Szenarien, wie das im globalen Sprachgebrauch heißt, ist es so eine Sache. Denn eine Vorhersage entpuppt sich nicht selten als eine „Hinterhersage“. Allzu viele „Visionen“ sind hausgemachte Vivisektionen nach eigenen Interessen und Machtgelüsten. Die Themen, die Eco dabei aufspießt, findet er auf der Straße, in unserem gesellschaftlichen Alltag, vor allem in Italien. Das Frappierende an der Darstellung ist nicht, dass sich einer in „San Silvio“ traut, gegen den Stachel der kapitalen Macht und der Medienherrschaft zu löcken, sondern dass die einzelnen, pointiert, ironisch und provozierend aufgeschriebenen kurzen Beiträge zu lokal- und globalpolitischen Situationen in unserer Zeit Erkennungswert für die Entwicklung in unserer Einen Welt haben.

Der Dreh- und Angelpunkt von Ecos Denken, etwa in einer multikulturellen Gesellschaft der Vielfältigkeit, lässt sich vielleicht mit dieser Position verdeutlichen: Im Zusammenleben der Menschen, lokal und global, darf es nicht darauf ankommen, die Unterschiedlichkeiten im Denken und Handeln der Individuen und Gemeinschaften zu verbergen, sondern sie darzustellen, sich mit ihnen auseinander zu setzen, um sie zu verstehen und zu akzeptieren. Gedanken sind wie geheime Gänge in Labyrinthen, vergessenen Höhlen und Fluchtwege. Sie zu lesen ist heilsam, manchmal tröstlich, immer aber bedenklich. Denn „Fortschritt im Rückwärtsgang“ ist, das dämmert uns erst langsam, ein Rettungsanker. Ihn zu finden und zu nutzen ist Teil jener Euphorie, die Umberto Eco „positive Antipathie“ nennt.

Literaturangaben:
ECO, UMBERTO: Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus. Übersetzt aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Carl Hanser Verlag, München 2007. 319 S., 23,50 €.

Mehr über Umberto Eco:

Verlag:

Dr. Jos Schnurer (Jg. 1934) ist Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: