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Psychologische Grausamkeiten

Der Roman „Das Reispflanzerlied“ von Eileen Chang

© Die Berliner Literaturkritik, 03.12.09

Von Claudia Kotte

„Gefahr und Begierde“ ist die Erzählung, mit der Eileen Chang auch in Deutschland einem größeren Publikum bekannt wurde – dank der opulenten Verfilmung der Spionagegeschichte von Ang Lee im Jahr 2007. Von Begierde oder Leidenschaft ist im ersten Roman der chinesischen Autorin – eigentlich Zhang Ailing – rein gar nichts zu spüren. „Das Reispflanzerlied“ ist 54 Jahre nach seiner Veröffentlichung und 53 Jahre nach der ersten deutschen Übersetzung nun erneut in deutscher Fassung erschienen.

Er beginnt mit dem Anblick von Latrinen und heranwehendem Gestank in einem ärmlichen Dorf und endet mit dem jämmerlichen Tod einer ganzen Familie. Bilder der Trostlosigkeit bestimmen Changs Roman von der ersten bis zur letzten Seite. Seine Protagonistin ist Yuexiang, die aus Shanghai in ihr Dorf in der südchinesischen Provinz zurückkehrt. Sie hat sich drei Jahre bei reichen Leuten verdingt, um ihrer Familie Geld schicken zu können. Wieder zu Hause fühlt sie sich nicht nur von ihrem Mann Jin’gen und ihrer Tochter A Zhao entfremdet, sondern sie muss zudem feststellen, wie trostlos die Lebensmittelversorgung auf dem Land ist. Zu essen gibt es nichts außer Reissuppe. Schon das Anzünden einer Hochzeitskerze, das Essen eines Kekses gilt als extravagant.

Es sind die 1950er Jahre, Mao hat die Volksrepublik proklamiert, die Bevölkerung wird nun im Geiste des Sozialismus umerzogen. Ehemann Jin’gen profitiert einerseits von der Landreform, denn er besitzt seitdem eigenes Land, doch zur „Frontunterstützung“ werden nun hohe öffentliche Getreideabgaben gefordert, um die Armee zu unterstützen. Der erste Intellektuelle – Drehbuchautor Gu aus Shanghai – trifft bald im Dorf ein, um das Landleben kennenzulernen.

Die Situation eskaliert, als den Bauern eine Sonderabgabe aufgezwungen wird – es kommt zu einem Aufstand, der die Partei zwingt, auf das eigene Volk zu schießen. Die kleine A Zhao wird von den Massen zu Tode getrampelt, der schwer verletzte Jin’gen irrt mit Yuexiang durch die Berge und stirbt an seinen Verletzungen. Ein Feuer im Reislager setzt dem Aufruhr ein infernalisches Ende. Der verkohlte, sitzende Leichnam von Yuexiang wird – einer Mönchsstatue gleich – in den Trümmern gefunden. Auf ihrer unmarkierten Grabstelle balgen sich später wilde Hunde.

So grotesk dieses Ende auch klingen mag – Eileen Chang geht es weniger um die graphischen Details der Trostlosigkeit als vielmehr um die inneren Zwiespälte und psychologische Grausamkeiten der einzelnen Figuren. Was bei zeitgenössischen männlichen Schriftstellern Chinas zur derben Groteske über körperliche Nöte geraten wäre, schildert Eileen Chang in kargem, gedämpftem Ton. Sie konzentriert sich auf das Zwischenmenschliche und zeichnet in feinen Strichen nach, wie Spannungen und Konflikte verlaufen – mit welchen Sticheleien sich etwa Yuexiang und Jin’gen anfeinden; was der Dorfkader Wang über den Genossen Gu denkt, welche Strategien sie im Umgang miteinander entwickeln und welche Gegenreaktionen Neid und Misstrauen, Missmut und Herablassung provozieren. Zwar entlarvt die Erzählerin die propagandistischen Parolen als hohle Floskeln, doch geht es ihr weder um platten Antikommunismus noch um eine idyllisierte Version des Landlebens.

Wie delikat die Darstellung der Hungersnot in den frühen Jahren der Republik noch immer ist, lässt sich – so das aufschlussreiche Nachwort von Susanne Hornfeck – daran ablesen, dass „Das Reispflanzerlied“ auf dem chinesischen Festland noch immer als antikommunistische Propaganda abgetan und in einer neuen wissenschaftlich editierten Zhang-Ailing-Gesamtausgabe nicht enthalten ist. Eileen Chang verließ 1952 die Volksrepublik, ging zuerst nach Hongkong und dann in die USA, wo sie erst 1995 halb vergessen und verarmt starb.

 

Literaturangabe: 

CHANG, EILEEN: Das Reispflanzerlied. Aus dem Englischen unter Berücksichtigung des Chinesischen und mit einem Nachwort versehen von Susanne Hornfeck. Claassen Verlag, Berlin 2009. 224 S., 19,90 €.

Weblink:

Ullstein Verlag

 


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