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„Pulverfass Russland“ – ZDF-Journalist Sager rechnet mit Putin-Ära ab

Sager fügt aus den Nachrichten bekannte Fakten wie Puzzleteile zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen

© Die Berliner Literaturkritik, 11.03.08

 

Von Ulf Mauder

Die Tage von Russlands Präsident Wladimir Putin im höchsten Amt des Staates sind gezählt – Anlass genug für Beobachter, Bilanz zu ziehen. Wohl im Mai wird der 55-Jährige die Geschicke der Großmacht in die Hände seines am Sonntag (2. März 2008) gewählten Nachfolgers, des bisherigen Vizeregierungschefs Dmitri Medwedew, legen. Bereits jetzt rechnet der 2004 aus Moskau verabschiedete ZDF-Korrespondent Dirk Sager (67) in seinem neuen politischen Buch „Pulverfass Russland“ mit der achtjährigen Putin-Ära ab. Der Titel gibt die Stoßrichtung vor: Wie bei vielen westlichen Russland-Kennern sitzt auch Sagers Enttäuschung über den zunehmend autoritären Kurs des Kremls tief.

Als Warnung gedacht beginnt die Betrachtung mit einer Rückblende auf den Stalin-Terror in den 1930er Jahren, als die Staatsmacht hunderttausende Menschen hinrichten ließ. Es folgen Beispiele der letzten acht Jahre, wie der vom Geheimdienst FSB beherrschte Kreml demokratische Grundsätze verletzt und die Aufarbeitung der leidvollen Geschichte ausbleibt. Trotz des beispiellosen Stalin-Terrors behauptet Sager von Putins Russland: „Mächtiger und einflussreicher sind die Geheimdienstler in ihrer Geschichte nie gewesen.“

Dabei schildert der inzwischen freischaffende Journalist kenntnisreich, wie die Menschen nach dem wirtschaftlichen Chaos und der Armut in den 1990er Jahren das Vertrauen verloren haben in das, was damals Demokratie hieß. Sager erinnert daran, dass es in den späten Jahren der Sowjetzeit mehr Transparenz als jetzt gegeben habe, auch ein Minimum an Machtbalance und Kontrollgremien, die zumindest ansatzweise ihre Aufgaben erfüllt hätten. Dagegen habe der äußerlich charmante, in Wahrheit aber kaltblütig agierende Putin ein System absoluter Herrschaft – eine „Diktatur des Gesetzes“ – geschaffen samt einem Klima der Einschüchterung und Verängstigung.

Sager fügt aus den Nachrichten bekannte Fakten wie Puzzleteile zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen für die, die sich bisher nicht allzu sehr mit dem Thema befasst haben. Schlaglichter sind etwa der vom Putin-Unterstützer zum Kremlkritiker gewandelte Oligarch Boris Beresowski, der Mord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja sowie die Dumawahl im Dezember. Die Quintessenz ist interessierten Zeitungslesern gut vertraut: Der Kreml missachtet Menschenrechte, lenkt die Justiz, knebelt die Opposition, gängelt Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGO) und nutzt den Gasmonopolisten Gazprom als außenpolitische „Waffe“.

Für seine Thesen greift Sager neben Fakten auf Analysen russischer Journalisten und Politologen zurück – und bemüht sich um Ausgewogenheit. Gleichwohl verlässt er zuweilen den Rahmen des Nachprüfbaren, etwa wenn er behauptet, Russland habe den Zuschlag für die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 gekauft. Zudem gibt das Buch wenig davon wieder, wie unbeschwert die meisten Menschen unter Putin leben. Es blendet aus, dass sogar viele Regierungskritiker keine Alternative zu Putin sehen.

Die Frage im Untertitel des Buches – „Wohin steuert die Großmacht?“ – muss offen gemeint sein. Denn Sager bietet insgesamt mehr Rückschau als Ausblick, stellt mehr Fragen als er Antworten geben kann. Westlichen Geschäftsleuten wirft er Sinnestäuschung und Putin-Lobbyismus vor. Sagers Fazit ist, dass heute nichts auf eine demokratische Entwicklung Russlands hindeute. Schuld sei auch der Westen, der sich stärker – und mit einer Stimme – einmischen müsse.

Literaturangaben:
SAGER, DIRK: Pulverfass Russland. Wohin steuert die Großmacht? Rowohlt, Berlin 2008. 271 S., 19,90 €.

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