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Rätselraten um Nobelpreis: US-Schelte eine falsche Fährte?

US-Literaten doch nicht chancenlos?

© Die Berliner Literaturkritik, 06.10.08

 

Von Thomas Borchert

STOCKHOLM (BLK) – Bei der Bekanntgabe des Nobelpreises für Literatur am Donnerstag (9. 10.) sollte ein Schriftsteller aus den USA eigentlich ausgeschlossen sein. Die Autoren dort seien nicht „das Zentrum der literarischen Welt“, hätten sich wie auf einer Insel eingeigelt, und würden bei ihren Büchern nach dem Massengeschmack schielen, meinte jedenfalls Horace Engdahl, „Ständiger Sekretär“ der Stockholmer Jury, in dieser Woche. Schlechte Chancen also für immer wieder hoch gehandelte Dauerfavoriten wie Thomas Pynchon (71), Philip Roth (78) und Don DeLillo (71), meinen manche. Vielleicht aber auch gerade nicht, spekulieren andere Beobachter. Denn Engdahl gilt als geradezu verliebt in das, was er schon nach früheren Preis- Zuerkennungen entzückt umschrieben hat als Spezialität der Schwedische Akademie: Alle anderen immer wieder komplett zu überraschen.

Bis zur Entscheidung allerdings muss der Akademie-Sprecher mit geballter Kritik an seiner bizarren Pauschalabwertung der US- Literatur leben. Der 60-Jährige gab noch einen drauf und meinte im Interview mit der Nachrichtenagentur ap, es sei kein Zufall, dass die meisten Nobelpreisträger Europäer seien: „Man kommt nicht daran vorbei, dass Europa weiter das literarische Zentrum der Welt ist und nicht die Vereinigten Staaten.“

Nicht nur in den USA fanden Kritiker solche Äußerungen eine Woche vor der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises 2008 befremdlich. „Man sollte meinen, dass uns der Chef einer Jury, die Namen wie Marcel Proust, James Joyce und Wladimir Nabokov übersehen hat, solche kategorischen Belehrungen erspart“, meinte David Remnick vom „New Yorker“ in schwedischen Medien. Engdahl reagierte mit einem kurzen schriftlichen Statement: Die Nationalität von Kandidaten spiele überhaupt keine Rolle bei der Entscheidung der Akademie: „Der Nobelpreis ist kein Wettbewerb zwischen Nationen, sondern eine Auszeichnung für einzelne Autoren.“

Daraus kann jeder eigene Schlüsse ziehen. Wollte Engdahl eine falsche Fährte legen, könnten ja gerade nordamerikanische Dauer- Favoriten für den Preis und die Dotierung von zehn Millionen Kronen (eine Million Euro) infrage kommen. Auch die Kanadierin Margaret Atwood (68) gehört zu diesem Kreis, würde allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung wohl stark an die Literaturnobelpreis- Vergabe 2007 an Doris Lessing (88) aus Großbritannien erinnern.

Sollte Engdahl aber tatsächlich einfach gesagt haben, was er denkt, und mit ihm eine Mehrheit der Akademie, drängen sich vor allem zwei europäische Namen auf: Aus Portugal António Lobo Antunes (66), seit langem immer wieder im engsten Favoritenkreis. Und auch der Italiener Claudio Magris (69) ist in den vergangenen Jahren unter den Anwärtern mehr und mehr in den Vordergrund gerückt. Namen deutschsprachiger Autoren tauchen allenfalls am Rande auf, wenn die Wienerin Friederike Mayröcker (83) oder die in Rumänien geborene Herta Müller (55) genannt werden.


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