Von Gregor Tholl
Gehen Sie auf „Gammelfleischpartys“? Wenn Sie 1979 oder früher geboren wurden, ist das gut möglich. Der böse Begriff ist nämlich eine Bezeichnung für Ü-30-Veranstaltungen. Vom Langenscheidt Verlag wurde er 2008 sogar zum Jugendwort des Jahres gekürt. Aber wer über 30 ist, hat ja Humor und verträgt viel. Obwohl: Diese Teens und Twens werden schon noch sehen, was sie von solchem Sprach-Leichtsinn haben. Doch wie war das nochmal? Die schärfsten Kritiker kommen eigentlich immer aus der eigenen Gruppe, nicht von außerhalb. Nina Puri zum Beispiel, Jahrgang 1965, Autorin des satirischen Buchs „Ü- 30-Krankheiten. Als Letzter erkennen. Als Erster bekommen.“
Schon wieder ein Generationen-Buch?, könnte man genervt fragen. Ja und Nein würde die Antwort lauten. Es geht in diesem Buch zwar erneut vor allem um die Kohorten der 60er und 70er Jahre, doch ist das Werk ganz anders gemacht und weniger wehleidig als die bekannten Selbstbespiegelungen wie „Generation Golf“ (2000) oder „Generation Ally“ (2002). Auch die jüngeren Generationenbücher waren noch nicht derart selbstironisch, also etwa „Generation Doof“ von Anne Weiss und Stefan Bonner oder aber Martin Reicherts „Wenn ich mal groß bin: Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche“ (beide 2008).
Nina Puri, in England geboren und heute freie Kreativdirektorin in Hamburg, hat die Macken der Deutschen, die bereits drei Dekaden leben, in ein Verzeichnis 150 typischer „Krankheiten“ gefasst. Das geht dann von A wie Augenzwinkern („Unheilvoller Drang von Ü30ern, jeder erdenklichen Lebenslage mit Ironie und Altherrenwitz zu begegnen“ - Beispiel: „bösartige Anschuldigungen mit lustigen, pantomimisch in die Luft gemalten „Tüddelchen“ untermalen“) bis Z wie Zahn der Zeit (dem der Ü30er damit begegnet, dass er sich die Zähne machen lässt, und zwar sehr gerade und sehr weiß - Folge: „Der Ü30er kann mit geöffnetem Mund im Dunkeln lesen“).
Nina Puri zeigt in ihrem Buch auch Schaubilder des Ü30er-Hirns: Im männlichen ist demnach viel Platz für Retro-Trainings-Jacken, die Bundesliga, die alte Plattensammlung oder ein rotes Ferrari-Cabrio. Im Frauengehirn geht es dagegen vor allem um Handtaschen, Buddhismus, Schauspieler Ashton Kutcher, Jamie-Oliver-Rezepte oder Yoga.
Weitere Störungen, die Puri analysiert: Die Vitamin-B-Sucht („Fieberhaftes Netzwerken in Internet-Portalen“), die Postpubertät („Entwicklungsphase, die seit Jahrzehnten abgeschlossen ist, aber immer dann aufflammt, wenn die eigenen Eltern zu Besuch sind“), das Heinzelmännchen-Syndrom („Wachsende Ansammlung von Haushaltshilfen“ wie elektrischer Entsafter, Brotbackautomat oder Smoothie-Maker), die Wirus-Infektion (also „wir“ statt „ich“ oder „du“ zu sagen) oder aber das schlichte Weißt-Du-noch-Syndrom.
Amüsant sind zum Teil die alternativen, „lateinischen“ Bezeichnungen. So kann die Krankheit, deren Symptom es ist, dass der Ü30er „stundenlang, unansprechbar auf kleine weiße Geräte“ starrt, entweder als iSprung oder („lat.“) Applemania bezeichnet werden. Und die Abhängigkeit von ausländischen TV-Serien wie „Lost“, „Sex And The City“, „Sopranos“, „Dexter“ oder „24“ heißt Serienjunkie oder („lat.“) HBO (wie der US-Sender, der viele gute Serien produziert). Ein anderes Wort für die so genannte Billigreisekrankheit (viel in der Welt herumfliegen) lautet „easy jet set“.
Alles in allem ist das Buch vor allem für Großstädter und ein Milieu wohlhabenderer Ü30er geschrieben. Für die ist es aber passgenau und beispielsweise ein perfektes Geburtstagsgeschenk ab 30 aufwärts. Gewarnt seien prüde Gemüter vor manchen Kalauern. So kommt etwa auch die Vögelgrippe („Zunehmende Verschnupftheit beim Thema Sex“) vor, oder aber eine Krankheit, die Männer haben, die oft Porno-Portale im Internet anklicken: die „Scheidensehn-Entzündung“.
Literaturangabe:
PURI, NINA: Ü-30-Krankheiten. Der große Ratgeber. Als Letzter erkennen. Als Erster bekommen. Knaur Taschenbuch Verlag, München 2009. 223 S., 12,95 €.
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