Als der katalanische Schriftsteller Joanot Martorell Ende des 15. Jahrhunderts die letzten Sätze seines Riesenromans „Tirant lo Blanc“ (Der weiße Ritter) zu Papier brachte, hatte das Rittertum schon stark an politischer und militärischer Bedeutung eingebüßt. Flexibler und besser bewaffnete Söldnerheere machten dem ehrwürdigen Ritterstand das Schlachtfeld zunehmend streitig. Und auch als tugendhafte und mutige Vorbildfiguren taugten die Ritter nur noch bedingt. Kein Wunder, dass auch in der Literatur das Bild vom Ritter ein anderes wurde. Der jahrhundertlang vergessene Katalane Martorell hat den mutig kämpfenden Recken als erster in der Weltliteratur von seinem Heldensockel geholt und ihn als Mensch mit ganz alltäglichen Bedürfnissen und Problemen gezeichnet.
So ragt sein Mammutwerk, das kein Geringerer als Cervantes durch eine seiner Romanfiguren als „das beste Buch der Welt“ bezeichnen ließ, inhaltlich wie stilistisch über die sonstige Ritterromane des Spätmittelalters hinaus. Der weiße Ritter besteht zwar nahezu jedes seiner gefährlichen Abenteuer im Kampf für die Christenheit und gegen die muslimischen Eroberer im östlichen Mittelmeer mit Bravour, aber ist dennoch immer wieder geplagt von Zweifeln und Liebeskummer. Als Mensch mit erotischen Leidenschaften und intimen Ängsten. „Tirant lo Blanc“ ist ein ebenso moderner wie „realistischer“ Ritterroman, der wechselweise mit komischen, romantischen und heroischen Elementen operiert. Und dadurch eine ungemein starke atmosphärische Kontrastwirkung erzielt, die einen sofort in den Bann zieht. Allerdings wird den „Durchschnittsleser“ die im letzten Jahr bei S. Fischer erschienene deutsche Übersetzung möglicherweise abschrecken. 1.700 Seiten liest man nicht mal eben in ein paar Tagen nebenbei.
Wer diese lohnenswerte „Mühe“ eher scheut und es lieber kürzer und schneller mag, dem kann geholfen werden. Denn mit dem im Audio Verlag erschienenen Hörspiel taucht man mindestens ebenso tief in die Welt des heroisch-galanten Romans ab. Und das für nicht mal drei Stunden. Eine Zeit, in der man Tirants Wagemut und Eros ebenso eindrücklich kennen lernt wie den Liebeskummer der Kaiserin, ihrer Tochter und ihres jungfräulichen Gefolges. Das von Christiane Ohaus einfühlsam bearbeitete und von Radio Bremen technisch perfekt produzierte Hörspiel wartet nicht nur mit glänzend sprechenden Schauspielern auf, die in ihren Rollen wirklich aufzugehen scheinen, ohne dabei ins Pathetische zu verfallen. Wie es angesichts der oftmals emotional überschwänglich formulierten Dialoge leicht hätte passieren können. Nein, es wird auch von den herrlich verwunschenen Kompositionen Michael Riesslers mit dem nötigen Zeitkolorit versehen. In absoluter Harmonie mit den von Maik Solbach (Tirant lo Blanc) und Karina Plachetka (Prinzessin) fein modulierten Stimmen.
Was hier akustisch und inhaltlich aufgeführt wird, ist ein sinnlich-spannendes Hörspektakel, das vielleicht doch noch zur Lektüre des dreibändigen Riesenromans anregt. Denn nur hier offenbart sich Martorells ganze literarische Kunst im Detail. Wer sich jedoch unmittelbar von seiner Sprache und seiner Kunst, Emotionen und Abenteuer zu erschaffen, überzeugen lassen möchte, der genieße die kongeniale Adaption in CD-Format.
Literaturangaben:
MARTORELL, JOANOT: Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc. Sprecher: Astrid Meyerfeldt, Maik Solbach. Der Audio Verlag, München 2007, 2 CDs. 157 Minuten, 22,99 €.
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