Werbung

Werbung

Werbung

Regisseur Simons über Jelineks neues Stück

„Das Stück war für mich eine Inspiration“

© Die Berliner Literaturkritik, 03.02.11

MÜNCHEN (BLK) - Mit ihrem neuen Stück „Winterreise“ hat Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek den Intendanten der Münchner Kammerspiele vor eine große Herausforderung gestellt. 77 Buchseiten musste Johan Simons für seine Inszenierung bearbeiten, die an diesem Donnerstag (3. Februar) uraufgeführt wird. Er kürzte und setzte Schwerpunkte - herausgekommen ist eine „tragische Komödie“, wie er im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa in München sagte.

Was haben Sie gedacht, als Sie den Text das erste Mal in der Hand hatten?

Johan Simons: „Bei Elfriede Jelinek denkt man immer zuerst: Oh Gott, das geht nicht. Das kann man nicht inszenieren. Aber dann habe ich angefangen zu denken und zu träumen und dann habe ich gedacht: Was für ein guter Text - viel Text. Dann habe ich mich gefragt, welche Figuren darin stecken. Und mir ist sofort aufgefallen, dass sehr viel Persönliches darin steckt.“

Hat Sie das überrascht?

Simons: „Wenn man Elfriede Jelinek bittet, einen Text zu schreiben, der von Schuberts "Winterreise" inspiriert ist, dann hat man nicht nur eine Autorin, sondern auch eine Pianistin, die unglaublich viel über diese Musik weiß. Sie kennt sich sehr gut aus. Darum ist auch klar, dass der Text dann sehr persönlich werden musste. Aber bei ihr ist das Ergebnis immer eine Überraschung, und man ist immer gespannt darauf, was sie denn jetzt wieder geschrieben hat. Das Gute an Jelinek ist, dass sie eine - wie sie das auch selbst nennt - „demokratische Schreibweise“ hat. Sie liefert ein Kunstwerk ab und sagt dann, jetzt sind Regisseur und Schauspieler an der Reihe, daraus ihr eigenes Kunstwerk zu machen. Wenn man nur einen Satz von ihr nimmt, ist sie auch zufrieden - das ist das Gute an Elfriede Jelinek.“

Sie hat Sie also bei der Inszenierung völlig in Ruhe gelassen?

Simons: „Ja. Sie ist damit fast einzigartig. Nur wenige Autoren geben ihr Stück so aus der Hand wie sie.“

Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Inszenierung?

Simons: „Das Stück war für mich eine Inspiration. Die Herausforderung war, die richtigen Stellen herauszufinden, die ich auf die Bühne bringen will. Bei der Episode über die Hypo Group Alpe Adria wollte ich zum Beispiel, dass die Schauspieler auf der Bühne ihre Wut über die Bankenkrise einmal so richtig herauslassen können - das ist eine sehr dynamische Szene.“

Viele haben diese Szene als eine Art Schlüsselszene betrachtet - vor rund einem Jahr hieß es gar, „Winterreise“ sei ein Stück über die Bankenkrise, was es ja letztendlich nicht geworden ist.

Simons: „Nein, auf keinen Fall. Auch diese Szenen sind wichtig, aber es gibt natürlich auch Vater, Mutter und Tochter, die eine große Rolle spielen. Ich sehe das so: Elfriede Jelinek betrachtet die Welt, setzt sich abends hin und denkt: Jetzt möchte ich auch einmal etwas über mich schreiben. Das Stück bewegt sich von einem äußeren Blick auf die Welt zu einem inneren Blick. Elfriede Jelinek versucht immer, eine persönliche Verbindung zu dem Text zu finden - aber so wie in diesem Fall kenne ich das von ihr nicht. Aber in dem Alter von Elfriede Jelinek weiß man, dass man weniger Lebenszeit vor als hinter sich hat - das spielt sicher eine Rolle.“

Unterstützen Sie dieses Literaturmagazin: Kaufen Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen - es geht ganz einfach und ist ab 10 Euro versandkostenfrei! Vielen Dank!

Auch der Fall Natascha Kampusch spielt bei Jelinek eine Rolle - wie greifen Sie den in Ihrer Inszenierung auf?

Simons: „Er nimmt einen großen Teil ein. Mich interessiert das, was in diesem Keller zurückgeblieben ist. Die Schauspieler holen allen Schmutz - und auch alle Schönheit - aus diesem Keller heraus. Der Fall Natascha Kampusch ist eine ganz schreckliche Geschichte. Erst wurde sie jahrelang eingesperrt, dann stand sie plötzlich im Leben und dann fingen die Leute auch noch an, darüber zu reden, warum denn dieses Mädchen und nicht sie selbst in der Öffentlichkeit standen und im Fernsehen sind - schreckliche Schicksale gebe es schließlich viele. Die Sucht nach medialer Aufmerksamkeit macht den dritten Teil des Stückes aus.“

Kritiker waren überrascht von der Selbstironie und Selbstkritik, die Jelinek in ihrem neuen Stück an den Tag legt. Kannten Sie diese Seite von ihr?

Simons: „Nein, die kannte ich auch noch nicht. Allerdings steckt dieser Aspekt vor allem im letzten Teil des Werkes. Ich bin noch nicht so weit, dass ich jetzt schon den Mut habe, auch diese Selbstkritik zu inszenieren.“

Können Sie auf einen Nenner bringen, was Sie aus Elfriede Jelineks Stück gemacht haben?

Simons: „Eine tragische Komödie, würde ich sagen.“


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: