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Reise durch das Deutschland der Zukunft – „Von Not nach Elend“

Der Autor Günther Lachmann pflegt einen mit boulevardesken Klischees angefüllten Schreibstil

© Die Berliner Literaturkritik, 16.07.08

 

Wiedenborstel ist ein hübsches Fleckchen Erde. Idyllisch und „wie eine Insel“ liegt das Dorf inmitten der Weiten Schleswig-Holsteins. So beschreibt es der Journalist und Autor Günther Lachmann in seinem neuesten Buch „Von Not nach Elend. Eine Reise durch deutsche Landschaften und Geisterstädte von morgen“. Wiedenborstel hat es nicht zufällig auf die ersten Seiten der Publikation geschafft. Der Ort ist ein Phänomen, ein Kuriosum, ein Synonym für die demographische Entwicklung Deutschlands. Wiedenborstel zählt sieben Einwohner – und ist die vermutlich kleinste eigenständige Gemeinde der Republik.

Die Deutschen werden immer weniger. Mehr Menschen sterben als geboren werden, ganze Landstriche werden in ein paar Jahren entvölkert sein. Zudem ziehen junge Leute fort, Städte vergreisen. All das ist nicht neu. Für Günther Lachmann war es dennoch der Anlass, ein weiteres Buch über den demografischen Wandel ins Rennen um die Gunst der Buchhändler zu schicken. Lachmanns Idee: die abstrakten Zahlen der Bevölkerungsstatistiken an konkreten Beispielen aufzuarbeiten.

„Orte und Menschen“ in ganz Deutschland hat Lachmann besucht, um sich vom demografischen Wandel ein eigenes Bild zu machen. Von Schleswig-Holstein bis Bayern, von Nordrhein-Westfalen bis Brandenburg – Lachmann war in vielen Orten zu Gast. Den mit Abstand größten Teil seiner Aufzeichnungen nehmen die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt ein. Das ist nur konsequent, führen die dortigen Regionen doch die Negativ-Statistiken an und sagen Studien ihnen eine deprimierende Zukunft voraus. Lachmann schließt sich damit der Wahrnehmung der meisten Medien an. Aber – und das ist das einzig wirklich Neue an seinem Ansatz – er macht nicht mit seinen Recherchen halt an den Grenzen der ehemaligen DDR. So dürfte es manch einen vielleicht wundern, dass auch Regionen wie das Ruhrgebiet oder (einige wenige) Teile Bayerns vom demografischen Wandel erfasst sind.

In einem zweiten kürzeren Teil greift Lachmann jene Zahlen auf, die die Bevölkerungsentwicklung beschreiben. Über das Kapitel „Orte und Daten“ besonders freuen dürften sich bundesweit Beamte der statistischen Landesämter. Denn Lachmann hat ihnen mit seiner 70-seitigen Abhandlung vermutlich viel Arbeit abgenommen: basierend auf den Tabellen und Landkarten der Ministerien und Ämter hat er eine umfassende Interpretation vorgelegt. Neu ist daran indes wenig. Wenig überraschend ist es da auch, dass den ostdeutschen Ländern der weitaus größte Raum gewidmet ist – knapp 40 Seiten. Zum Vergleich: Der Süden (aus Bayern allein bestehend) muss sich mit einer Seite begnügen.

Eine „schockierende Reportage“ verspricht der Klappentext dem Leser: „Schockierend“ ist durchaus treffend. Zumindest wenn es um den mit boulevardesken Klischees angefüllten Schreibstil des Autors geht. „Deutschland stirbt“ lautet der erste Satz des Buches.

Das ist Polemik in Reinform. Deutschland stirbt natürlich nicht. Seine Bevölkerungszahl mag schrumpfen, seine Gemeinden verfallen. Die deutschen Leser von Lachmanns Buch zumindest werden sich höchst lebendig fühlen.

Vom Tod ist die Republik dann doch noch ein gutes Stück entfernt. Das mag eine haarspalterische Analyse von Lachmanns Stil sein, sie ist aber beispielhaft für seine teils „BILD“-haften Beschreibungen. Spannende Aufbereitung trockener Statistiken hin oder her: In einem Sachbuch ist voyeuristische Dramatik schlicht fehl am Platz.

Eine „Reportage“, wie der Klappentext verspricht, ist Lachmanns Buch nicht. Zwar beinhaltet das Kapitel „Orte und Menschen“ durchaus Elemente dieser Stilform, der Text bleibt aber insgesamt zu distanziert von seinen Protagonisten. Lachmann schafft es nicht, den Menschen nahe zu kommen. Scheinbar unmotiviert reiht er aneinander, was ihm bei seinen Recherchen berichtet wurde. Es sind Verwaltungsbeamte, Landräte, Bürgermeister und Mitarbeiter größerer Unternehmen, die ihr Leid über den allmählichen Niedergang klagen. Abseits von Politik, Bürokratie und Wirtschaft kommen in Lachmanns Buch kaum Menschen zu Wort, der „kleine Mann“ bleibt ungehört. Dabei wären eben seine subjektiven Eindrücke vom Leben in jenen zunehmend verwaisenden Regionen von entscheidender Bedeutung für ein Buch gewesen, das die Realität abseits von Zahlen und Statistiken aufzeigen will.

Stattdessen lässt Lachmann örtlichen Größen seitenweise Platz zur Selbstdarstellung. Stichwort „schockierend“: Dieter Friese, Landrat des Landkreises Spree-Neiße (Brandenburg), erhält 20 Seiten Platz, um über ein Unternehmen und die Landesregierung herzuziehen und im gleichen Atemzug seine eigenen Erfolge zu loben. Eine Wahlkampfschrift hätte es kaum treffender formulieren können.

Lachmann versäumt es, die Vorwürfe des Landrats zu relativieren, geschweige denn, Unternehmen und Landesregierung zu ihrer Sicht der Dinge zu befragen. Dafür erfährt der Leser, dass Friese in einer alten Textilfabrik residiert und seinen Gästen Cappuccino und Wasser serviert.

Als Autor einer Monografie ist diese unkritische Art der Berichterstattung Lachmanns gutes Recht. Über ihn wundern darf sich der Leser aber durchaus: Lachmann ist immerhin politischer Korrespondent einer überregionalen Zeitung.

Die einzelnen Kapitel des Buches sind übrigens verknüpft durch die Eindrücke des Autors während seiner Autofahrten von A nach B – einige der wenigen Stellen, die erahnen lassen, wie das Wort Reportage es auf den Klappentext schaffte. Immerhin: Nach der Lektüre von jenen 180 Seiten ist der Leser reicher um Informationen zu Wetter und Verkehrsdichte während Lachmanns Recherchen: „Doch als ich die Autobahn am Kreuz Sangerhausen-Süd verlasse, lacht die Sonne wieder.“ „Leipzig umfahre ich südlich.“ „Erst auf der A 38 Richtung Göttingen wird es wieder richtig hell.“ „Nach der Anschlussstelle Borken weist mich das Navigationssystem über die B3 zur Landstraße 3150 ….“

Ob dem Leser diese entscheidenden Details allerdings helfen werden, die demografische Entwicklung Deutschlands zu reflektieren, bleibt abzuwarten.

Von Ariane Stürmer

Literaturangaben:
LACHMANN, GÜNTHER: Von Not nach Elend. Eine Reise durch deutsche Landschaften und Geisterstädte von morgen. Piper Verlag, München 2008. 279 S., 18 €.

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