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Reisebericht

Mark Twain über seine Reise durch Deutschland

© Die Berliner Literaturkritik, 28.04.10

BERLIN (BLK) – Mark Twains Reisebericht „Bummel durch Deutschland“ ist am 7. Dezember im Insel Verlag erschienen. Er wurde aus dem Englischen von Gustav Adolf Himmel übersetzt.

Klappentext: Im Jahr 1878 trat Mark Twain mit einer kleinen Reisegruppe, die aus seiner Familie und einigen Freunden bestand, eine anderthalb Jahre dauernde Reise durch Europa an. Sie führte ihn unter anderem durch Deutschland – vonHamburg aus über Frankfurt, Heidelberg nach Süddeutschland. Bummel durch Deutschland enthält Twains Bericht seiner vergnüglichen Reiseerlebnisse in Deutschland. Verblüfft beobachtet er die seltsamen Rituale schlagender Korpsstudenten in Heidelberg; absonderlich erscheint ihm die deutsche Oper: „eine Katzenmusik, die Lohengrin heißt“; und von der Rhein-Sage hat er eine ganz eigene Version . . . Auch in seinem Reisebericht zeigt sich Mark Twain einmal mehr „als ein brillanter Satiriker, der in den Deutschen einen dankbaren Gegenstand für seine spritzigen und ungemein komischen Auslassungen gefunden hat.“ (Neue Zürcher Zeitung)

Mark Twain, dessen bürgerlicher Name Samuel Langhorne Clemens war, wurde 1835 in Florida/Missouri geboren. Er ist vor allem als Autor der Bücher über die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn bekannt. Twain war ein Vertreter des amerikanischen Realismus und ist besonders wegen seiner humoristischen, von Lokalkolorit und genauen Beobachtungen des sozialen Verhaltens geprägten Erzählungen und aufgrund seiner scharfzüngigen Kritik an der amerikanischen Gesellschaft berühmt. 1910 ist Mark Twain in Redding/Connecticut gestorben.

Leseprobe:

©Insel Verlag©

Kapitel 1

Eines Tages fiel mir ein, daß der Welt schon seit Jahren nicht mehr der Anblick eines Mannes geboten worden war, der Verwegenheit genug besaß, zu Fuß eine Reise durch Europa zu unternehmen. Gründliches Nachdenken überzeugte mich, daß ich geeignet war, der Welt zu diesem Anblick zu verhelfen. Also entschloß ich mich dazu. Das war im März 1878. Ich suchte nach dem rechten Mann, der mir als Reisebegleiter dienen würde, und stellte schließlich einen Mr. Harris ein.Es war noch dazu meine Absicht, mich während meines Aufenthaltes in Europa mit den schönen Künsten zu befassen. Mr. Harris dachte da ganz wie ich. Er war ein ebenso begeisterter Kunstjünger wie ich und nicht weniger als ich darauf aus, malen zu lernen. Ich wünschte außerdem, die deutsche Sprache zu erlernen; Harris wünschte es gleichfalls. Gegen Mitte April liefen wir auf der Holsatia (Kapitän Brandt) aus und hatten eine wahrhaft vergnügliche Überfahrt. Nach kurzer Rast in Hamburg trafen wir wegen des milden Frühlingswetters Vorbereitungen für eine lange Fußreise nach Süden, änderten jedoch (aus privaten Gründen) im letzten Augenblick unser Programm und nahmen den Schnellzug. Wir machten kurz in Frankfurt halt und fanden diese Stadt interessant. Gerne hätte ich die Stelle aufgesucht, an der Gutenberg geboren wurde, aber es ging nicht, da nicht überliefert ist, wo das Haus stand. Also verbrachten wir statt dessen eine Stunde im Goethehaus. Die Stadt läßt es zu, dass dieses Haus Privatleuten gehört, anstatt sich mit der Ehre zu schmücken und auszuzeichnen, es zu besitzen und zu beschirmen. Frankfurt ist eine von den sechzehn Städten, die sich des Vorzugs erfreuen, der Ort zu sein, an dem sich der folgende Zwischenfall ereignete. Karl der Große gelangte, als er die Sachsen verfolgte (wie er sagte), oder als er von den Sachsen verfolgt wurde (wie sie sagten), im Morgengrauen bei Nebel an das Ufer des Flusses. Der Feind war entweder vor Ihm oder hinter ihm, aber auf alle Fälle wollte Karl hinüber, und zwar sehr. Er hätte alles um einen Fremdenführer gegeben, aber es war keiner zu beschaffen. Schließlich sah er, wie sich eine Hirschkuh mit ihrem Jungen dem Wasser näherte. Er beobachtete sie, denn er sagte sich, daß sie gewiß eine Furt suche, und da irrte er sich nicht. Sie watete durch den Fluß, und das Heer watete hinterher. So wurde ein großer fränkischer Sieg erfochten oder eine große fränkische Niederlage vermieden; und zur Erinnerung an diese Episode befahl Karl der Große, daß an genau der Stelle eine Stadt gebaut werde, die er Frankfurt nannte – die Furt der Franken. Keine von den anderen Städten, in deren Nähe dieses Ereignis stattfand, wurde danach benannt – ein stichhaltiger Beweis, daß Frankfurt der erste Ort war, an dem es sich zutrug. In Frankfurt wurde mir eine Lehre in Volkswirtschaft erteilt. Ich brachte von zu Hause eine Kiste mit eintausend sehr billigen Zigarren mit. Zu Versuchszwecken ging ich in einen kleinen Laden in einer wunderlichen alten Seitenstraße, erwarb vier buntbeklebte Schachteln Wachshölzer und drei Zigarren und legte eine Silbermünze imWerte von 48 Cents hin. Der Mann gab mir 43 Cents heraus. In Frankfurt trägt jedermann reinliche Kleidung, und diese ungewöhnliche Beobachtung machten wir wohl auch in Hamburg und in den Dörfern am Wege. Selbst in den engsten und ärmsten und ältesten Vierteln Frankfurts schienen ordentliche und saubere Kleider die Regel. Die kleinen Kinder beiderlei Geschlechts waren fast immer so adrett, daß man sie auf den Schoß nehmen konnte, und die Uniformen der Soldaten schließlich waren Neuheit und schmucke Pracht in letzter Vollendung. Kein Schmutz, kein Kçrnchen Staub war auf ihnen zu entdecken. Die Straßenbahnschaffner und -fahrer trugen hübsche Uniformen, die wie frisch aus der Putzschachtel aussahen, und ihr Benehmen war nicht weniger fein als ihre Kleidung.

 ©Insel Verlag©

Literaturangabe:

TWAIN, MARK: Bummel durch Deutschland. Aus dem Englischen von Gustav Adolf Himmel. Insel Verlag, Berlin 2009. 296 S., 9 €.

Weblink:

Insel Verlag


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