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Die Fortsetzung der „Ruhrtrilogie“

Sein Stück „Cinecittá Aperta“ war kürzlich in Mülheim zu sehen

© Die Berliner Literaturkritik, 22.06.09

Von Constanze Schmidt

MÜLHEIM (BLK) — Gute zehn Minuten zieht sich der holperige Weg vom Eingang des Ringlokschuppens zum Spielort hin. Man wandert durch ein Niemandsland und passiert Lager- und Gewerbehallen, Ruinen und Rohbauten, bis schließlich auf einer riesigen Brache ein wackeliges Zelt auftaucht. Unter dieser an den Seiten offenen Überdachung sitzt das Publikum auf weißen Plastikstühlen, Spielort ist das öde Gelände, auf dem sich weit verstreut ein paar Wohnwagen, eine kleine Bühne und in der Ferne ein paar angedeutete Filmkulissen verteilen. Bei der Uraufführung von René Polleschs „Cinecittá Aperta“, dem zweiten Teil der Ruhrtrilogie, geht es deutlich ungemütlicher zu als in Teil eins.

Im vergangenen Jahr noch hatte Polleschs Bühnenbildner Bert Neumann das Set für „Das Tal der fliegenden Messer“ am lauschigen Ufer neben der Stadthalle der Ruhr aufgebaut. Direkt vor der Nase haben die Zuschauer nun eine Leinwand, auf der mal schwarz-weiß, mal farbig per Video übertragen wird, was sich in den Wohnwagen oder in weiter Entfernung abspielt. Diesmal ist der Einsatz der Videokamera nicht nur Stilmittel, sondern direkt mit dem Inhalt des neuen Stücks verwoben. Denn mit „Cinecittà Aperta“ bezieht sich der Autor und Regisseur René Pollesch, der als der Meister des postdramatischen Hochgeschwindigkeits-Theaters gilt, auf die legendären Filmstudios bei Rom, in denen unzählige bedeutende Filme gedreht wurden und die lange Zeit als europäisches Pendant zur Traumfabrik Hollywood galten.

„Cinecittà“ stand vor allem auch für die Filme in der ästhetischen Tradition des italienischen Neorealismus, den Pollesch auf seinem nachgebauten Filmset in gewohnt ironisch gebrochener und hysterisierend auf die Spitze getriebener Weise wiedererstehen lässt. Federico Fellini, Luchino Visconti und Roberto Rossellini drehten dort und ihre Namen blitzen in Polleschs Textgewitter immer wieder auf. Aber auch die Namen von Marcel Reich Ranicki und seinem filmischen Alter Ego Matthias Schweighöfer fallen häufig, ebenso der von Christoph Schlingensief, der die Premiere mit seiner Anwesenheit beehrte und das turbulente Geschehen von der ersten Reihe aus verfolgte.

Wie es Brauch ist bei Pollesch, gibt es eine Handlung im traditionellen Sinne nicht. Die Textmassen verteilen sich auf drei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler, die zwar im Programmheft unter Rollennamen geführt werden, tatsächlich aber die Rollen, Identitäten und Geschlechter laufend tauschen. Es soll angeblich ein Film gedreht werden, aber man weiß nicht genau, ob überhaupt und wenn ja, was für ein Film. Catrin Striebeck als „Pauline Boetzke“ sucht verzweifelt nach dem berühmten Trevi-Brunnen, aber offensichtlich wird doch nicht „La dolce Vita“ gedreht. Stattdessen ist plötzlich von „Rote Erde“ die Rede, einer Bergarbeiter-Fernseh-Saga aus den Achtzigern.

Auch wenn nie geklärt wird, an welchem Film denn nun tatsächlich gearbeitet wird, herrscht hektische Betriebsamkeit auf dem Gelände. Kamera- und Tonleute rennen hin und her, ein Polizeiwagen, ein alter BMW und diverse Wohnwagen fahren im Kreis und die fabelhaften Schauspieler müssen große Strecken zurücklegen.

Eigentlich geht es aber natürlich nicht um das Filmemachen und eine Handvoll nervöser Schauspieler, sondern um jenes Text- und Diskurstheater, für das Pollesch berüchtigt ist. Es kreist analysierend um Darwin und Marx und baut zitierend Philosophen ein. Polleschs konsequent durchdeklinierte Dauerthemen bleiben die Kapitalismuskritik und die Klage über die totale Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse.

Im Kontext der aktuellen Krise ist Polleschs Theater frischer, bissiger und witziger als beim ersten Teil der „Ruhrtrilogie“ im vergangenen Jahr, der stellenweise manieriert und überzogen wirkte. Am Ende gab es großen Beifall für alle Beteiligten, vor allem für Pollesch, der in Mülheim Kultstatus genießt und gerade bei den „Stücketagen“ wiederum den Publikumspreis gewonnen hat.


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