Von Thomas Borchert
MÜNCHEN (BLK) – Nach den schönen schneeweißen Fahrrädern der Amsterdamer Provos Mitte der 1960er Jahre hat Joe Boyd sein nicht minder schönes Buches über die Popmusik dieses Jahrzehnts „White Bicycles“ betitelt. Aufregend und bewegt war sie, die Zeit des Umbruchs, als Bob Dylan beim Newport-Festival 1965 plötzlich die akustische Gitarre und den Folksong mit elektrischen Verstärkern und „Like A Rolling Stone“ vertauschte. Die Beatles hätten damals „immer noch Liebeslieder“ und die Rolling Stones „eine Art sexy Popmusik mit Blueswurzeln“ gespielt, schreibt Boyd (Jahrgang 1942). Dylans legendäres Newport-Konzert hat er als Produzent am Mischpult erlebt: „Es war die Geburt des Rock.“ Damals habe es sich wie ein Triumph angefühlt. Aber das Gefühl hielt nicht lange.
Boyd hat als Produzent, Tourmanager und Clubbesitzer die Jahre rund um diese Gezeitenwende mitgemacht. Er organisierte Konzerte für Blues- und Jazz-Legenden wie Lonnie Johnson, Roland Kirk, Muddy Waters und Coleman Hawkins. In London begleitete er die Anfänge von Cream und Pink Floyd. Boyd brachte Fairport Convention, The Move und die Incredible String Band heraus. Und ließ sich immer abhängen, wenn das große Geld nach dem Durchbruch winkte.
Was er dabei in der Musikszene erlebt hat, erzählt Boyd völlig uneitel, ohne Verklärung, witzig, spannend und dabei auf jeder Seite das Herz wärmend. Er erinnert sich an Wegbegleiter, die sich mit Drogen zudröhnen, dabei geniale Musik schaffen und am Ende untergehen oder aber mit der Verwandlung des Rock zum durchorganisierten Mainstream-Geschäft steinreich werden. Über Jimi Hendrix schreibt er: „Die Forscherreise durch sein kurzes Leben war faszinierend und unerträglich traurig.“
Nick Drake war eine von Boyds Entdeckungen, aber im Gegensatz zu Hendrix zu Lebzeiten total unbekannt geblieben. Er starb 1974 mit 26, arm, verbittert, vollgestopft mit Antidepressiva. Sein bestes Album „Pink Moon“, von Boyd produziert, wurde ein Flop. Heute nennen R.E.M und Norah Jones den großen Unbekannten ein musikalisches Vorbild. 1989 verkaufte der legendäre Produzent Chris Blackwell sein Island-Label nur unter der Bedingung an den Polygram-Konzern, dass die Musik von Nick Drake immer zugänglich bleiben müsse. Der kommerzielle Durchbruch kam ein Vierteljahrhundert nach Drakes Tod, als VW im Jahr 2000 seinen Titelsong von „Pink Moon“ für einen Werbespot einsetzte.
Boyd zeichnet den langen Weg des Rock von Dylans Newport-Konzert zur Reklameuntermalung für Weltkonzerne ohne Zynismus, klug und – meistens – unsentimental nach. Er stellt dem Buch zwei schöne Zeilen aus einem Drake-Song voran: „So Sunday sat in the Saturday sun. And wept for a day gone by.“ („So saß Sonntag in der Samstags-Sonne. Und weinte einem Tag hinterher, der vorüber war.“)
Literaturangaben:
BOYD, JOE: White Bicycles. Musik in den 60er Jahren. Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Verlag Antje Kunstmann, München 2007. 352 S., 24,90 €.
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