Von Birgit Klimke
Als Robert Domes zum ersten Mal das Foto von Ernst Lossa in den Händen hielt, war er von dem Blick des damals Zwölfjährigen fasziniert. „Die Mischung aus Sehnsucht und Kampfeslust, Trotz, Neugier und Angst hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt der Journalist und Autor aus Kaufbeuren. Das Foto, aufgenommen 1942 in der damaligen „Heilanstalt“ Kaufbeuren, ist auf dem Titel seines Romans „Nebel im August“ zu sehen. Darin schildert Domes das kurze Leben des Ernst Lossa, der durch das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten starb.
Ernst Lossa wurde 1929, im gleichen Jahr wie Anne Frank, als Kind fahrender Händler in Augsburg geboren. Seine als „Zigeuner“ verfolgte Familie geriet 1933 ins Visier der Nationalsozialisten. Lossa wurde seinen Eltern weggenommen; er wuchs in Heimen auf, wo man ihn als schwer erziehbares Kind einstufte und schließlich 1942 in die psychiatrische Anstalt in Kaufbeuren einwies. Obwohl er völlig gesund war, wurde sein Leben mit dem Stempel „asozialer Psychopath“ als „unwert“ gekennzeichnet. Im Alter von 14 Jahren wurde Ernst Lossa im August 1944 mit einer Überdosis Morphium umgebracht.
Fünf Jahre lang hat Domes das Schicksal des Jungen recherchiert, in Archiven geforscht und Zeitzeugen befragt. Er führte unter anderem Gespräche mit den Schwestern Lossas. Den 46-Jährigen bewegte dabei vor allem die Frage nach dem Warum. Warum musste Ernst Lossa sterben? „Ich denke, er war ein unliebsamer Zeuge“, fasst Domes das Ergebnis seiner Recherchen zusammen. Denn wie kein anderer Insasse habe Lossa die Zustände in der Heilanstalt gekannt und gegen sie rebelliert. „Er hatte zu viel gesehen und mitbekommen.“ Letztendlich gebe es für den Mord an den Jungen aber nur eine Erklärung: Willkür.
Domes sieht die Biografie als Mahnung, Menschen nicht nach ihrem Nutzen und ihrer Leistungsfähigkeit zu beurteilen. „Der Fall Ernst Lossa“, so schreibt der Autor in seinem Nachwort, „steht exemplarisch für den perversen Rassen- und Auslesewahn im Hitler-Staat“. Er sei darum bemüht gewesen, den Jungen nicht als Widerstandskämpfer oder Helden darzustellen. „Es ist die Geschichte eines ganz normalen Jungen, Lausebengels und Träumers, der sich nach Geborgenheit, Respekt und Liebe sehnt.“
Der Verlag bietet parallel zum Roman Begleitmaterial für Lehrer an. „Dieses Buch bietet sich zur Lektüre im Unterricht an“, sagte Verlagsmitarbeiterin Renate Grubert. Es gebe bislang kein Buch, in dem „das grausame Thema Euthanasie“ für Jugendliche so verständlich aufgearbeitet sei. „Nebel im August“ ist für Leser ab 13 Jahre geeignet.
Literaturangaben:
DOMES, ROBERT: Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa. cbt-Verlag, München 2008. 350 S., 7,95 €.
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