„Wie kann ich über den Tod unserer Tochter schreiben?“
„Willst du denn darüber schreiben?“
„Das möchte ich, ja.“
„Ich denke, ich weiß, wo das Problem liegt. Du bist dir nicht sicher, ob du Literatur machen willst oder bloße Erinnerung, hab ich recht?“
„Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie näher bei mir ist, wenn ich über sie schreibe.“
Dieses fiktive Gespräch beinahe am Ende des schmalen Büchleins, das der unschwer als Michael Köhlmeier zu erkennende Ich-Erzähler in Gedanken mit seinem Lektor führt, offenbart erstmals deutlich, worum es dem Autor in diesem stillen, leisen Buch geht: um die Aufarbeitung eines schweren Schicksalsschlags, der seine Familie unverhofft im Jahr 2003 traf. Damals verunglückte die 21-jährige Tochter und vielversprechende Jungautorin Paula Köhlmeier bei einem Spaziergang tödlich. „Sie war nie richtig auf der Welt gewesen“, sagt Köhlmeiers Frau, die Schriftstellerin Monika Helfer, im Buch, „sie hat den Boden nur mit den Fußspitzen berührt.“
„Sturm, Nacht, Heide, eine Hütte, Lear und sein Narr“ liest man über jenem erdachten inneren Zwiegespräch, ein szenischer Drehbuch-Einschub, der sofort an Shakespeares König denken lässt. Dessen Narren hat der Autor gleichfalls eingebaut, hier in Gestalt eines eigenwilligen Besuchers, Köhlmeiers Lektor Dr. Johannes Beer, der sich für mehrere Tage im Haus der Familie in Hohenems einquartiert, um über das neue Buch des Autors zu sprechen. Shakespeare hat mit dem Lear-Narr das Alter Ego des Königs erfunden, bei Köhlmeier schlüpft Dr. Beer in diese Rolle (obwohl ihm im Lauf der Erzählung auch andere Vergleiche anhängig werden, so etwa der augenscheinlich biedere, jedoch janusköpfige Adolf Verloc aus Joseph Conrads „Der Geheimagent“ oder der verwegene Jacob Grimm). Und genau wie bei dem englischen Dichter, maskieren und demaskieren sich im Laufe der nächsten Tage beide Protagonisten aufs furioseste. Denn wie heißt es so schön: Nur des Königs Narr spricht die Wahrheit.
Köhlmeiers Qual steht dabei der des englischen Dramenhelden kaum nach. Hypochondrische Ängste und Gedanken quälen ihn seit dem Tod seiner Tochter und nur Betäubungsmittel können den Schmerz ein wenig „lindern“. Schlaflose Nächte verwehren ihm die Träume, die den notwendigen Abstand und gleichzeitig die erforderliche Nähe geben könnten – auch hier werden wieder Vergleiche gezogen, so zum Beispiel zu Grillparzers „Der Traum ein Leben“.
Symbolhaftigkeit durchzieht die ganze Geschichte latent metaphorisch. Der aufmerksame Leser kann noch viele andere allegorische Vergleiche entdecken. Da werden zum Beispiel – eher unauffällig und beinahe nebenher – ein Zöllner und Dantes „Inferno“ erwähnt. Ein schwarzer Hund wiederum, ein altes Zeichen für den Tod, spielt eine maßgebliche, ja richtungsweisende Rolle, in der augenscheinlich harmonischen, häuslichen Idylle. Die zuweilen beschaulichen Alltagsbetrachtungen im winterlich verschneiten Ort täuschen über den verzweifelten Kampf Köhlmeiers mit dem Dämon, mit Luzifer höchstpersönlich, hinweg.
Letztendlich wählt der Autor das, was sein Lebenselixier ist – das geschriebene Wort. „Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie mir näher ist, wenn ich über sie schreibe. (...) Ich glaube an die Literatur, (...), sonst hätte ich mein Leben verfehlt ...“, sinniert der Autor in seinem halluzinierenden Dialog.
Eine unaufdringlich leise, berührende und ausdrucksstarke Geschichte hat Michael Köhlmeier vorgelegt, welche von Ängsten und Wünschen, ausgelöst durch einen ganz persönlichen Schicksalsschlag, erzählt und dabei auf eindringliche Art und Weise aufzeigt, wie zerbrechlich das Leben ist.
Prägnante Sätze, ohne Schnörkel und unnötiges Beiwerk prägen seinen Duktus. Der Autor schreibt beinahe distanziert über Tod, Erinnerung und das Schreiben an sich; ein Hilfsmittel, um die Sprachlosigkeit zu überwinden, die durch den Verlust der Tochter entstanden ist.
„Idylle mit ertrinkendem Hund“ ist ein Buch, das seine volle Entfaltung beim Lesen „zwischen den Zeilen“ erfährt. Köhlmeier schafft auf fast magische Art und Weise eine unglaubliche Nähe und Vertrautheit zu seiner ganz persönlichen Gefühls- und Gedankenwelt, die viel Raum für eigene Assoziationen lässt. „Ich glaube doch, dass es mir gelungen ist, den Raum des Erzählbaren zu vergrößern“, resümierte der Autor in einem Interview. „Bei diesem Buch habe ich einen Punkt gefunden, an dem ich es nicht für möglich gehalten habe, weiterzuerzählen.“ Schön, dass er es trotzdem getan hat.
Von Heike Geilen
Literaturangaben:
KÖHLMEIER, MICHAEL: Idylle mit ertrinkendem Hund. Deuticke Verlag, Wien 2008. 293 S., 19,80 €.
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