Von Wilfried Mommert
Der Berliner Kurfürstendamm ist wohl der einzige Glamour- und Bummel-Boulevard in der Welt, der als Blickfang in seiner Sichtachse bis auf den heutigen Tag noch immer eine Kriegsruine hat. Auch wenn die Gedächtniskirche längst moderne Anbauten erhalten hat, die der gewohnt respektlose Berliner Volksmund angesichts der spröden Fassadenteile schnell als „Jesus-Garagen“ klassifiziert hat, ist der Sakralbau aus wilhelminischen Zeiten neben dem Brandenburger Tor zum Wahrzeichen der Hauptstadt geworden. Aber „rund um die Gedächtniskirche“, wie auch Lieder und Chansons heißen, war auch „immer was los“, vor allem am Kurfürstendamm, ob Show, Politik oder Architektur.
Davon erzählt der jetzt erschienene Band „Heimweh nach dem Kurfürstendamm - Geschichte, Gegenwart und Perspektiven des Berliner Boulevards“ vom Studiengang Architektur der Berliner Universität der Künste UdK (Michael Imhof Verlag). Es sind trotz der wissenschaftlichen Autorenschaft ungemein lebendig und kenntnisreich erzählte Geschichten. Denn in dem Band geben neben detailreichen Informationen und historischen Fotos auch Emotionen und plastische Erinnerungen den Ton an, wenn von Aufstieg, Niedergang und Comeback des Kudamms erzählt wird, der ja seit dem Mauerfall vor 20 Jahren als „Bazar des 20. Jahrhunderts“ in heftiger Konkurrenz zum historischen Renommierboulevard Unter den Linden und der Neuen Mitte im Osten der Stadt steht.
Dabei kommen auch Zeitzeugen in ausführlichen Beiträgen zu Wort wie die Galeristen Dieter Brusberg und Bernd Schultz, der Kinobetreiber Franz Stadler, der Theaterdirektor Jürgen Wölffer, die langjährige Pfarrerin der Gedächtniskirche, Sylvia von Kekulé oder der in Ehren ergraute Playboy Rolf Eden. Natürlich ist auch manche Nostalgie im Spiel, vor allem bei einem Mann wie Eden, der mit den Rolling Stones in seinem Rolls Royce den Kudamm rauf und runter fuhr. Das hatten junge Männer wie Hardy Krüger, Bubi Scholz, Harald Juhnke, Wolfgang Neuss und Horst Buchholz schon vor ihm in offenen Sportwagen gerne gemacht, um bei den Mädels zu punkten. Eden hat mit seinen „Eden-Salons“ das Showgeschäft und legendäre Nachtleben am Kudamm in der Nachkriegszeit mächtig in Schwung gebracht.
Zur Show gehörten vor allem Stars und Sternchen der Kinoleinwand. Der Band erinnert daher auch an die ersten Jahre der Berlinale, die zunächst am Kudamm angesiedelt war und regelmäßig für ein Verkehrschaos sorgte, wenn James Stewart, Gina Lollobrigida, Jean Marais oder Richard Widmark hier von den Fans umlagert wurden. Es war auch die Zeit, als der Kudamm mit 17 Premierenkinos die unbestrittene „Kinomeile Deutschlands“ war.
Ähnliches gilt auch für die früher viel besungene Kaffeehaus- Kultur des Boulevards („Wer mal am Kurfürstendamm seinen Kaffee trank“), die mit dem Verschwinden des Café Möhring, Schillig und der legendären Kranzler-Kaffeetischen mitten auf den superbreiten Kudamm- Gehwegen ebenfalls schwere Rückschläge zu verkraften hat, wenn auch - typisch Berlin - schon wieder trotzig neue, kleinere Wiederbelebungs- und Behauptungsversuche an allen möglichen Ecken und Enden unternommen werden. Abgesehen davon, dass viele Berliner und Berlin- Liebhaber vor allem auf die quicklebendigen und bunten Seitenstraßen des Boulevards wie Fasanen-, Meineke- oder Knesebeckstraße schwören, die historische „Brutstätte“ der „Berliner Bohème“ bis hin zum unweit gelegenen Savignyplatz.
Aufschlussreich ist auch die im Buch spannend beschriebene wechselvolle Architektur- und Baugeschichte des Kudamms, die sich besonders an prominenten Ecken wie dem Kranzler- und Kudamm-Eck und dem traurigen Schicksal des Kudamm-Karrees, wo die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm um ihre Zukunft bangen, manifestiert. Hier soll übrigens der britische Stararchitekt David Chipperfield die Rettung bringen.
Das im Bau befindliche Zoo-Fenster am Bahnhof Zoo zeigt aber auch, dass sich der Kudamm und seine Seitenstraßen schon immer einem lebendigen Wandel ausgesetzt sahen, getreu dem Motto der ganzen Stadt, „nie zu sein, sondern immer zu werden“. Die Flanier- und Bummelmeile im Berliner Westen, der als Ortsbestimmung und Charakterkennzeichen eines Teils der Metropole auch schon vor dem Krieg so genannt wurde, erlebt eine Renaissance.
Literaturangabe:
ZAJONS, MICHAEL; KUHRAU, SVEN (hrsg): Heimweh nach dem Kurfürstendamm – Geschichte, Gegenwart und Perspektiven des Berliner Boulevards. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2009. 176 S., 19,95 €.
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