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Russland nimmt Abschied von Solschenizyn

Tausende Menschen versammelten sich am offenen Sarg

© Die Berliner Literaturkritik, 05.08.08

 

MOSKAU (BLK) – Tausende Menschen haben in Moskau am offenen Sarg von Alexander Solschenizyn Abschied genommen. Unter den Trauergästen in der Akademie der Wissenschaften am Lenin-Prospekt war am Dienstag (5. August 2008) auch Regierungschef Wladimir Putin, wie das Staatsfernsehen zeigte. Der frühere Kremlchef legte vor einem großen Fotoporträt des früheren Regimekritikers und Literaturnobelpreisträgers rote Rosen nieder. Hunderte Moskauer warteten im strömenden Regen auf Einlass. An diesem Mittwoch (6. August 2008) soll Solschenizyn, der ein tief gläubiger orthodoxer Christ war, auf dem Friedhof des Moskauer Donskoi-Klosters beigesetzt werden.

Der Autor, der durch die literarische Aufarbeitung des Stalin-Terrors Weltruhm erlangte, war am Sonntagabend (3. August 2008) im Alter von 89 Jahren in Moskau gestorben. Zu seiner Bestattung wird auch Präsident Dmitri Medwedew erwartet, der dafür seinen Urlaub an der Wolga unterbricht. Bei einer Zeremonie in der Akademie, bei der Trauerreden nicht vorgesehen waren, nahm Solschenizyns Witwe Natalia mit Söhnen und Verwandten Beileidsbekundungen entgegen. Neben dem mit weißem Satin ausgelegten Mahagoni-Sarg des Schriftstellers standen eine militärische Ehrenwache und eine Fahne Russlands mit schwarzem Trauerband. Solschenizyns Tod hatte weltweit Trauer ausgelöst.

Nach der Veröffentlichung seines Hauptwerks „Archipel Gulag“ 1973 war Solschenizyn des Landes verwiesen worden. 1994 kehrte er nach Russland zurück. Er galt als Verkörperung der Schrecken und Leiden von Millionen von Menschen unter dem sowjetischen Diktator Josef Stalin. Solschenizyns literarische und historische Aufarbeitung der Verbrechen des kommunistischen Regimes hatte Menschen weltweit die Augen für die Brutalität des Totalitarismus geöffnet. Unter Stalin kamen in Straflagern, die die Sammelbezeichnung Gulag hatten, nach Schätzungen viele Millionen Menschen qualvoll ums Leben.

Unter den Trauergästen waren am Dienstag auch zahlreiche ehemalige politische Häftlinge. „Ich bin ebenfalls durch die Schrecken des Gulag gegangen“, sagte die Lehrerin Ljudmila Aleksejewna und legte rote Nelken vor dem Sarg nieder. Sie sei mit einer Freundin gekommen, um sich von einem „einzigartigen Menschen“ zu verabschieden. Aus Lautsprechern ertönte leise getragene Musik. Am Abend sollte der Sarg zum Donskoi-Kloster im Südwesten der russischen Metropole gebracht werden.

Aus dem Ausland trafen zahlreiche Kondolenzschreiben bei der Familie ein. Darin würdigten Politiker wie US-Präsident George W. Bush und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), aber auch viele Künstler den Gestorbenen. Russische Zeitungen werteten den Tod am Dienstag als großen Verlust. „Solschenizyn hat mehr als genug getan, um in die Liste der Unsterblichen einzugehen“, schrieb der „Kommersant“. Die Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ kommentierte: „Solschenizyn nutzte sein langes Leben nicht für sich, nicht für Vergnügen und Reisen, sondern für die tägliche Arbeit am Wohl der russischen Literatur.“ Und das Blatt „Twoj Den“ titelte schlicht: „Alexander der Große“. Der Moskauer Verlag „Wremja“ plant bis 2010 die Veröffentlichung einer Gesamtausgabe der Werke Solschenizyns in 30 Bänden. (dpa/vol)


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