Von Frauke Kaberka
HAMBURG (BLK) - Er war ein Spötter - bis zu seinem Tod am 18. Juni dieses Jahres. Und er war ein begnadeter Erzähler, der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Saramago („Die Stadt der Blinden“). Wie gut, dass sich der 87-Jährige vom deutschen Lesepublikum mit einem Roman verabschiedet hat: „Die Reise des Elefanten“, bereits vor zwei Jahren in Portugal veröffentlicht, wurde nun - kurz nach dem Tod des scharfzüngigen Romanciers, Dramatikers, Essayisten und Journalisten - vom Hamburger Verlag Hoffmann und Campe in deutscher Sprache herausgegeben.
Die wundersame Reise des indischen Elefanten Salomon von Lissabon nach Wien beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1551. Also aus einer Zeit, die geprägt war vom sich allmählich in Europa ausbreitenden Protestantismus und der katholischen Gegenwehr, der Heiligen Inquisition. Nun gut, Salomons Elefant war nicht der erste in den Alpen. Immerhin hatte der karthagische Feldherr Hannibal einige Jahrhunderte vor ihm mit einer ganzen Dickhäuterarmada den Weg über das Gebirge gewagt und war erfolgreich gegen die Römer gezogen.
Die Überlieferungen davon sind gewiss umfangreicher als die über Salomons Reise. Doch sicherlich findet sich kein Bericht darunter, der so unterhaltsam philosophierend bis offen blasphemisch, ja in den Augen der Kirche ketzerisch verfasst wurde, wie der des Portugiesen. Und zwar in einer Sprache, die vor Anachronismen strotzt und sie auch deshalb so herrlich unterhaltsam macht.
Die Geschichte ist eher nebensächlich: Portugals König Johann III. will seinem Vetter Maximilian, dem Erzherzog von Österreich, ein passendes Hochzeitsgeschenk machen. Da fällt ihm der in einem alten Gehege mehr oder weniger abgestellte Salomon ein. Ein inzwischen eher unliebsamer Kostenfaktor, der mit seinem Mahut Subhro, seinem indischen Betreuer, vor einigen Jahren nach einer langen, beschwerlichen Seereise an den Hof in Lissabon kam. Und so wird kurzerhand über Salomons und Subhros Schicksal neu entschieden. Eine absurde Reise wieder gen Osten beginnt: zu Land, zu Wasser und vor allem im Geiste - durch die aberwitzige Wegweisung Saramagos, der sich wohl am ehestens in den Gedanken Subhros eingenistet hat. Aber auch ein klein wenig in Salomons.
Der Mahut, erstaunlich sicher in weltreligiösen Fragen und ziemlich geschickt in seiner als Bescheidenheit getarnten geistigen Überlegenheit, dient als Mittler zwischen Menschen und Tier. Vor allem durch ihn kühlt der Spötter Saramago sein Mütchen am Klerus, an der Monarchie und ihrer militärisch begründeten Macht, am europäischen Hochadel, kurz: an der menschlichen Natur in all ihren Facetten. Wer mag, kann alles, was Salomon und Subhro - die von ihren neuen Besitzern bezeichnenderweise in Soliman und Fritz umbenannt werden - widerfährt, allegorisch sehen, ins Heute übertragen, auf Politik, Kirchen, Philosophie oder Wirtschaft.
Ansatzpunkte dafür gibt es massenhaft, und Saramago selbst spielt ja mit seinen bewusst eingesetzten Bemerkungen aus gegenwärtiger Sicht dem Leser immer wieder die Bälle zu. Man kann aber auch die gesamte Geschichte so nehmen, wie sie ist: als spätes Werk eines grandiosen Fabulierers, der noch einmal ein Feuerwerk an freundlich- boshafter Intelligenz und menschlicher Wärme abbrennt.
Die gute Nachricht zum Schluss: Im Juni 2011 will der Hamburger Verlag Saramagos allerletzten Roman „Kain“ in deutscher Sprache herausbringen.
Literaturangabe:
SARAMAGO, JOSÉ: Die Reise des Elefanten. Hoffmann und Campe, Hamburg, 240 S., 19,95 €.