FRANKFURT AM MAIN (BLK) - Im September ist Simon Borowiaks Roman „Schade um den schönen Sex“ im Eichborn Verlag erschienen.
Klappentext: Einer will nicht, einer darf nicht, einer kann nicht - der Erzähler und seine Freunde mühen sich, den kniffeligen Liebeszirkus dennoch zu meistern. Unser Erzähler startet gerade wieder ins Leben und wie früher macht seine Neugier auf Mensch & Tun vor nichts halt: Mal hört er mit einem Stethoskop die Nachbarn ab, mal liefert er dem Blutsbruder Cromwell eine Fernanalyse von dessen neuer Freundin, und als die Freundin Cromwell sitzen lässt, darf der Erzähler seine Beobachtungen in einer sonnigen italienischen Grenzstadt fortsetzen.
Simon Borowiak, Jahrgang 1964, lebt und arbeitet in Hamburg. Von 1986 bis 1992 war er Redakteur des Satire- Magazins „Titanic“. Sein Reiseroman „Frau Rettich, die Czerni und ich“ (1992) machten ihn einem breiten Publikum bekannt. In den letzten Jahren erschienen die Romane bzw. Sachbücher „Alk“(2006), „Wer wem wen“(2007) und „Schade um den schönen Sex“(2009). Die Problemfelder Alkoholismus, Suizidversuche und die allgemeine Tragik des Lebens ziehen sich durch alle Bücher Borowiaks- der unverwechselbare Humor des Autors fehlt trotzdem nie. (wer)
Leseprobe:
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Wenn man eine Jahreszeit heiraten dürfte, nähme ich sofort den Herbst. Ab zum Standesamt, uns Liebende in das Grundbuch des Glücks eingetragen, und danach lägen wir beide brach in meinem Garten, zwischen der durchlöcherten Zinkwanne und der Haselnuss, starrten in den kaltblau schwingenden Himmel und streichelten uns gegenseitig an unseren erogenen Problemzonen, nämlich der Schwer- und Sanftmut. Der Herbst und ich hätten selbstverständlich flotte Dreier, Vierer, - was sag? ich: Das ganze Dezimalsystem einmal flott durch! Denn außer der Haselnuss gibt es da ja auch noch die mich ganz närrisch machende Kirsche, die stoffelig zurückhaltende Quitte, die grazil alternde Hortensie - wir Pflanzenfreunde haben tausende Geliebte. Nur die grunddumme Konifere würde ich von der Beetkante stoßen. Ja, auf Koniferen reagiere ich fast so heftig und botanisch inkorrekt wie auf Rhododendron. Oder Posaunenchöre. Oder Jugendliche. Allerdings wurde es in diesem Herbst nichts aus langen Sitzungen zwischen Sanft- und Schwermut, denn mein Doktor stellte meine Medikamente um. Ich weiß nicht genau, was er mir unter die Antidepressiva gemischt hat, aber mit der sich jahreszeitlich steigernden Dunkelheit wurde mir immer heller im Gemüt. Schon morgens ließ mich die Sehnsucht nach der Welt aus dem Bett schnellen. Rüstig - quasi wie ein normaler Mensch - radelte ich dann in die städtischen Kolonien, schloss den Geräteschuppen auf und lehnte mich erst mal in Kennermanier auf einen Spaten. Dann grüßte ich jovial die anderen Gartenfreunde, als hätten wir uns schon 1945 bei Obi um einen Parkplatz gestritten. Ich lachte sogar mehrmals grundlos. Es ist doch erstaunlich, wie wacker sich die Psyche immer wieder neu organisieren kann, mit reger Motivation und frischem Fell. Man muss ihr nur genug Zeit lass en und chemisch eventuell ein wenig auf die Sprünge helfen, und sie bereitet ein überraschendes Comeback vor: Gehetzte Nervtöter werden zu ruhigen Aquarellmalern, verschlafene Heulbojen zu hellen Sportskanonen und sogar ein dauernörgelnder Selbstmordkandidat wie ich verwandelt sich auf seine alten Tage noch in einen wahren Freund der täglichen Lebenskirmes. Dieser Herbst wurde also der schönste seit langer Zeit. Jeden Tag wühlte ich mich wie ein Erdferkel durch 400 Quadratmeter Pflanzenbestand, durch die Hinterlassenschaft fremder Gartenjahre; ich schnüffelte haltlos an Rosen und Regentonnen, badete in athetischem Naturalismus, und bald beschränkte sich meine sprießende Lebensfreude nicht mehr auf meine ulkigen grünen Mitbewohner, auch die Menschen wurden mir wieder interessant. In meinen gesunden Zeiten hatte ich schon immer mit größtem Vergnügen Menschen beobachtet und vorverurteilt, aber in diesem Herbst steigerte sich meine Neugierde in eine nachgerade wollüstige Dimension. Und knapp vier Wochen nach Umstellung meiner Medikamente war ich wieder auf jenen Vermutungszügen, die einst meine Jugend ausmachten.
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Literaturangabe:
BOROWIAK, SIMON: Schade um den schönen Sex. Eichborn Verlag, Franktfurt am Main 2009. 213 S., 16,95 €.
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