Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ hat ein nur selten literarisch behandeltes Thema in die Feuilletons katapultiert: Sexualität aus weiblicher Sicht.
Weibliche Sexualität und Körperlichkeit aus männlicher Perspektive sind nichts Neues. Henry Miller und Charles Bukowski schrieben über Frauen als „Matratzen“ oder „Pritschen“, Wladimir Nabokovs Protagonist fühlte sich einem zwölfjährigen „Nymphchen“ ausgeliefert, und zeitgenössische Autoren wie Michel Houellebecq thematisieren den männlichen Kampf mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen.
Weibliche Sexualität beschrieb zwar schon Benoite Groult in „Salz auf unserer Haut“, allerdings wird sie dort als romantisches Drängen einer alternden Intellektuellen nach dem unbedarften, aber schönen Fischer dargestellt. Andere Texte gab es außerhalb der feministischen Theorie kaum.
Es ist bezeichnend, dass sich auch heute noch das gesamte deutsche Feuilleton über Roches „Ekelroman“ ereifert, in dem weibliche Geschlechtsteile, Körperflüssigkeiten und sexuelle Bedürfnisse eine große Rolle spielen. Mia Mings Buch kommt also zur rechten Zeit: Weibliche Sexualität ist zu einem Thema geworden, über das gesprochen wird.
„Schlechter Sex“ ist eine Sammlung von Erlebnisberichten, erzählt von 33 Frauen. Gemeinsam haben die Erzählerinnen nur zwei Dinge: Sie hatten schlechten Sex. Und sie sprechen darüber. Die Autorin begründet ihre Themenwahl folgendermaßen: „Schlechter Sex ist ein Thema, zu dem jeder etwas beitragen kann. Jeder kennt ihn, jeder hat ihn, doch kaum einer spricht davon.“ Mit diesem Buch endet zumindest das Schweigen über schlechten Sex.
Ming hat (ob das ein reiner Kunstgriff ist und die Berichte eigentlich ihrer Fantasie entspringen oder nicht, sei dahingestellt) Frauen aus sehr verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Altersstufen befragt. Ihre Moralvorstellungen, sexuellen Erfahrungen und Beziehungen zu Männern sind ebenso vielseitig.
Genau darin liegt die Besonderheit des Buches: In einigen Texten findet die Leserin sich wieder, über andere kann sie nur den Kopf schütteln. Schlechter Sex bedeutet für jede Erzählerin etwas anderes. Einige Texte thematisieren das egoistische Verhalten des Sexualpartners, anderen geht es um die schlechte Technik. Angeordnet sind sie nach einer Klassifizierung der „Todsünden des Sex“, von der 1. Todsünde: „Gier“ bis zur 33.: „Wahllosigkeit“.
Manche Texte erweisen sich als Berichte aus einer Parallelwelt, etwa der Text zur „5. Todsünde des Sex: Respektlosigkeit“. Marion, Friseurin, berichtet hier von dem „Hennenabend“, den sie und ihre Freundinnen für die Nacht vor der Hochzeit einer Freundin organisiert haben. Der Abend beginnt mit einer Ringbahnfahrt, auf der viel getrunken und gebrüllt wird: „Conny musste Klobürsten verkaufen und wir schrien dazu aus vollem Hals lustige Sachen. ‚Zickezacke’ und ‚Die Conny ist ne Superbraut, die heut auf die Scheiße haut!’ und so. Wir haben so viel gebrüllt, gelacht und getrunken, dass die Fahrt wie im Flug verging.“ Der schlechte Sex in diesem Text ist eigentlich überhaupt kein Sex, sondern eine Vergewaltigung der betrunkenen Marion auf einer Kneipentoilette. Ihre Reaktion darauf? Schnell nach Hause gehen und den Freundinnen bloß nichts erzählen – wäre ja peinlich.
Wie hier hofft man auch bei anderen Texten (wahrscheinlich umsonst), dass sie bitte nicht der Realität entsprechen mögen. Lassen junge, intelligente Frauen sich wirklich nächtelang „anwichsen“, weil sie zu müde zum Sex sind, anstatt ihren Partner rauszuschmeißen? Derselbe Text („Die 12. Todsünde des Sex: Maßlosigkeit“) macht aber auch deutlich, dass Frauen ihr Sexleben selbst in die Hand nehmen können. Als Mailin die sexuellen Wünsche des Freundes zu weit gehen und sie sich von ihm trennt, wird er zum armen Würstchen, das ihr heulend zu Füßen liegt. Als Konsequenz hat die Erzählerin seitdem keinen festen Sexpartner mehr – sie hat sich vorgenommen, sich mehr um sich selbst zu kümmern.
Beim Lesen ist man ständig hin- und hergerissen zwischen Entsetzen, was manche Frauen über sich ergehen lassen und hemmungslosem Gelächter über die Absurdität des menschlichen Geschlechtsverkehrs (Eva entdeckt im Urlaub bei Verwandten die neu erworbenen Filzläuse und entledigt sich ihrer mit dem Nassrasierer ihres Onkels – die Geschichte heißt „Wir waren nicht zu zweit, wir waren zwanzig“).
Ming gelingt es in bewundernswerter Weise, die unterschiedlichsten Redeweisen und Lebensumfelder der Erzählerinnen einzufangen. Die Darstellung einer Urlauberin in einem dominikanischen Feriendorf, die eine Affäre mit dem Animateur beschreibt, wirkt ebenso glaubwürdig wie die der gelangweilten Studentin, die sich in einem spanischen Kaff mit einem zehn Jahre Jüngeren einlässt. Die einleitenden Kurzbeschreibungen („Tina, 19, Bäckereiverkäuferin“, „Ida, 38, Rechtsanwältin“) wirken zwar etwas stereotyp. Die Lacher verteilen sich aber gleichmäßig auf sämtliche Frauen, sodass Klischees immer noch knapp vermieden werden.
Zum Buch hat die Autorin zwei Vorworte geschrieben. Ihre Leserinnen fordert sie auf, sich nicht immer selbst die Schuld am schlechten Sex zu geben. Frauen neigten nämlich zur Harmoniesucht. Den männlichen Lesern legt sie das Buch als Ratgeber ans Herz: „Wenn ihr den Anspruch erhebt, das schwache Geschlecht wenigstens gelegentlich zu erfreuen, dann meidet die Todsünden des schlechten Sex.“ Nach den Berichten der 33 befragten Frauen zu urteilen, haben die Männer tatsächlich noch einiges zu lernen. Und auch vielen der Protagonistinnen würde man am liebsten Verhaltenstipps an die Hand geben.
Das Buch ist vor allem sehr amüsant. Man sollte nur beherzigen, was die Autorin in Bezug auf Männer empfiehlt: alles nicht so ernst nehmen – eine tiefgründige Abhandlung zum Thema Sexualität ist es (glücklicherweise!) nicht.
Von Claire Horst
Literaturangaben:
MING, MIA: Schlechter Sex. 33 Frauen berichten über ihre lustigsten, peinlichsten und absurdesten Erlebnisse. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2008. 200 S., 9,90 €.
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