Die Dichterin Ingeborg Bachmann und der Komponist Hans Werner Henze wurden beide 1926 geboren, als Kinder aus „gut bürgerlichen Familien“ in einem an Kultur interessierten Ambiente; beider Väter waren Lehrer, haben Hitler getraut (der Henzes ist im Krieg gefallen); beide haben schon als Halbwüchsige ihre „Berufung“ entdeckt und hatten Grund, sich energisch abzusetzen von der braunen Hinterlassenschaft, die in Klagenfurt (Bachmanns Geburtsort) und Bielefeld (dem Henzes) noch lange gegenwärtig war.
Für Ingeborg Bachmann wurde die Begegnung mit Paul Celan 1948 zur alles entscheidenden Lebensprägung, wie viele andere (meist unglückliche) Beziehungen sie später auch knüpften mochte, für Henze das Bewusstsein, auch er hätte (als Homosexueller) den „roten Winkel“ tragen müssen, der im Konzentrationslager seinesgleichen von anderen Häftlingen unterschied. Beider Beziehung zu Deutschland blieb gespannt, dort für längere Zeit zu leben wäre ihnen nicht möglich gewesen, auch wenn Bachmann es mit München und später mit Berlin versucht hat, Henze immer wieder für Tage nach Bielefeld zurückkehrte.
Und beide wurden, sehr jung noch, berühmt. Ingeborg Bachmanns erste Gedichte, 1952 bei Tagungen der „Gruppe 47“ vorgetragen und bald danach veröffentlicht, machten die literarische Öffentlichkeit auf eine neue, unverwechselbare Stimme aufmerksam: es gibt wenig in der deutschsprachigen Lyrik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was ihren Versen auch nur nahe käme; Hans Werner Henzes frühe Kompositionen erregten sofort sowohl Bewunderung als auch schrille Ablehnung – inzwischen ist sein immenses, weit verzweigtes Werk längst eingewandert ins Musik-Repertoire der Theater und Konzerthäuser.
Dokumente einer Freundschaft
Ingeborg Bachmann wurde nicht einmal fünfzig Jahre alt, sie starb 1973 in Rom, Henze aber wird im nächsten Jahr seinen 80. Geburtstag feiern. Ihr Briefwechsel reicht von Ende 1952 bis 1972, in der nun von Hans Höller herausgegebenen kritischen Ausgabe sind es insgesamt zweihundertzweiundfünfzig, sehr ungleich verteilt: zweihundertneunzehn Briefen Henzes stehen nur dreiunddreißig Bachmanns gegenüber – weitere gingen verloren, wurden in Bachmanns Nachlass sequestriert oder vom Herausgeber (oder Henze selbst) aussortiert.
Die abgedruckten Texte füllen einschließlich der Übersetzungen (Henze hat oft Italienisch, Französisch oder Englisch geschrieben, auch von Bachmann gibt es Briefe in italienischer Sprache – die durchweg glänzenden Übersetzungen aus dem Italienischen hat Ragni Maria Gschwend gemacht, die zutreffenden aus dem Französischen und Englischen stammen von Annette Pehnt und Elsbeth Ranke) vierhundert Seiten, die Kommentare weitere hundertvierzig.
Diese Kommentare sind in aller Regel sachdienlich, sie erklären, lösen Rätsel auf, die sich aus der Vertrautheit der Schreiber und ihrer „Privatsprache“ ergeben, sie geben Hinweise zu den in den Briefen erwähnten Personen und versteigen sich nur selten zu Formulierungen, die besserwisserisch wirken, etwa „Die große dramatische Unmittelbarkeit dieses Briefs“ – HWH spricht hier zum ersten Mal im Briefwechsel von seiner Homosexualität – „wird mit künstlerisch konstruktiven Mitteln verfremdet.“ Was immer das heißen mag. Doch solche Stellen sind selten, meist hält sich Hans Höller zurück und lässt an anderer Stelle eine respektvolle Diskretion walten.
Vertreter einer Umbruchszeit
Der Briefwechsel erscheint parallel zur kritischen Ausgabe von Ingeborg Bachmanns Werk. Trotz ihres vergleichsweise geringen Anteils daran offenbart er die intensive, rückhaltlose Nähe und die unverbrüchliche Freundschaft der beiden Schreiber: des ungestümen, drängenden, häufig kindlich übermütigen, dann wieder tief verzweifelten Komponisten und der zwischen Schwermut und Fröhlichkeit (oft dank der Geborgenheit in Henzes Freundesschutz) schwankenden Bachmann, die sich nach dem Erfolg der ersten Gedichtbände immer tiefer ins Labyrinth einer Prosa zurückzog, die im „Todesarten-Projekt“ ihren adäquaten (fragmentarischen) Ausdruck fand.
Diesem Projekt gehören im Grunde alle ihre Prosaarbeiten an, auch wenn sie als selbstständige Erzählungen (von „Undine geht“ bis „Drei Wege zum See“) konzipiert und veröffentlicht wurden. Wenn jemand sie für kurze Zeit „retten“ konnte, so der brüderliche Freund Henze, der so gut wie sie wusste, was Schmerz ist. Dem Selbstmord nahe waren beide zu Zeiten. Doch, wie Bachmann 1956 schreibt: „Mir ist völlig klar, dass die Freundschaft mit Dir die wichtigste menschliche Beziehung ist, die ich habe, und das soll sie auch bleiben. Ich habe immer an Dich geglaubt, und an dich werde ich glauben bis ans Ende meines Lebens.“ Dabei ist es geblieben, auch wenn die Zahl der Briefe in Bachmanns letzten Lebensjahren abnimmt. Man muss ohnehin die vielen persönlichen (manchmal monatelangen) persönlichen Begegnungen bedenken, in denen es keiner Briefe bedurfte.
Zugleich gibt diese Korrespondenz einen Einblick in die kulturelle Situation der ersten Dezennien der Nachkriegszeit, ihrer Aufbrüche wie ihrer Verklemmungen, ihrer Hoffnungen wie ihrer Enttäuschungen. Die beiden Briefschreiber haben gleichsam stellvertretend eine Umbruchszeit durchlebt, die auch schon wieder „historisch“ geworden ist. Davon erzählt dieses Buch genauso wie von den finanziellen Problemen, die beide hatten, und den verschiedenen „Strategien“, sie zu meistern.
Finanzielle und private Nöte
Bachmann hat zunächst immer wieder einmal versucht, in der Medienlandschaft einen sicheren Job zu finden, obwohl ihr nichts ferner lag, als Zeit von ihrer eigentlichen Arbeit abzuzweigen (von Gedichten allein lässt sich halt schlecht leben, selbst wenn sie vergleichsweise hohe Auflagen erreichen), sie hat für Zeitungen und Rundfunkstationen Brotarbeiten angenommen, Rezensionen und Radiofeatures; Henze hat gnadenlos Schulden gemacht – und zurückgezahlt – ist als Dirigent durch die Lande gereist. Häufige Ortswechsel sind bei beiden die Regel, erst seit 1966 hat Henze „seinen Platz“ gefunden, in der Landschaft der „Castelli“ nordöstlich von Rom, wo er noch heute lebt. Ob Rom für Bachmann etwas Gleiches hätte werden können, wissen wir nicht.
Mag uns auch heute manches redundant erscheinen, vor allem in Henzes Briefen – es gehört dazu, ob es nun um Verträge mit Verlagen, verschobene Premieren oder Terminabsprachen geht – wichtig bleiben alle jene Briefe, in denen beide auch ihre schlimmsten Nöte offen legen, so Ingeborg Bachmann in jenem denkwürdigen Brief aus der Schweiz 1963, nach dem Bruch mit Max Frisch, in dem sie Henze bittet, sie abzuholen: „Ich hätte nie geglaubt, dass alles so schlecht für mich ausgehen würde. Dass es einen Schmerz geben würde, ja – aber nicht einen so totalen und fast tödlichen Zusammenbruch. Das Ganze war eine lange, lange Agonie, Woche für Woche, und ich weiß wirklich nicht warum, es ist nicht Eifersucht, sondern etwas völlig anderes, vielleicht weil ich, vor vielen Jahren, wirklich etwas Dauerhaftes, ‚Normales’ begründen wollte, bisweilen gegen meine eigenen Lebensmöglichkeiten, immer wieder habe ich darauf bestanden, auch wenn ich von Zeit zu Zeit gespürt habe, dass die notwendige Transformation mein Gesetz verletzt oder mein Schicksal – ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.“
Sie hat diese Zeilen auf Italienisch geschrieben – ein Versuch, Distanz zu dem zu schaffen, was sie als „die größte Niederlage meines Lebens“ begriff. Diese ‚Normalität’ hat auch Henze vergeblich gesucht – bis hin zu der früh überlegten Idee einer Heirat mit der Freundin, die beide eine kurze Weile für möglich gehalten haben müssen, um sie dann entschieden zu verwerfen.
Gemeinsame Arbeit
Die gemeinsame Arbeit – Bachmann hat für einige erfolgreiche Werke Henzes die Libretti geschrieben – gehört zu den wichtigen Elementen dieses Briefwechsels: er macht Vorschläge für Ballett- und Opernstoffe, drängt, fleht, findet sich mit Verzögerungen ab, aber er gibt auch Ratschläge, erbittet Änderungen, auf die Bachmann häufig eingeht: diese gemeinsame Arbeit an einer Sache gehört zu den Glücksfällen der Opern- und Musiktheater-Geschichte, so wie vorher nur die zwischen Mozart und da Ponte, Strauss und Hofmannsthal – von ihr haben die Werke und ihr Publikum profitiert. „Ihre Gedichte sind schön, und traurig“, hatte Henze ihr bereits 1952 geschrieben – auch ihre gemeinschaftlichen Werke sind so geworden: von schmerzender Schönheit.
Der Briefband liegt schon seit einiger Zeit vor, die Ausgabe der „Kritischen Schriften“, die alles sammelt, was Ingeborg Bachmann an Auftragsarbeiten, Reden, Beiträgen für Programmhefte (Henzes) geschrieben hat, erschien kürzlich, herausgegeben von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Die beiden Herausgeber haben mit großer philologischer Akribie gearbeitet mit der Folge, dass beinahe die Hälfte der 828 Seiten mit Kommentaren, Lesarten und Anmerkungen gefüllt sind, in denen man auch erfährt (wenn man es denn wissen will), auf welcher Papiersorte und mit welchem Schreibmaschinentyp ein Text geschrieben wurde; alle Korrekturen und Entwurfsphasen werden penibel verzeichnet, gleich als handele es sich hier um Schriften, in denen es auf jedes Komma ankommt.
Kommt es aber nicht. Dass Bachmann häufig änderte (und dass diese Änderungen vor allem in der Lyrik bedeutsam sind), sei zugestanden, doch scheint mir, dass man es auch zu weit treiben kann - nicht jede Änderung, ja nicht einmal eine Folge von Änderungen – vermittelt grundstürzende Erkenntnisse.
Theoretische Arbeiten
Ihre frühen Arbeiten, ein „Versuch über Heidegger“, der allenfalls im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit eine gewisse Bedeutung gewinnt, Rezensionen für österreichische Zeitschriften, die sich vorsichtig juveniler Entschiedenheit entschlagen, sind allenfalls Talentproben einer Autorin, die auf ganz anderes sinnt. Den Logischen Positivismus des „Wiener Kreises“ und Ludwig Wittgensteins Philosophie hat sie bald hinter sich gelassen – in ihrem Werk hinterließen sie kaum Spuren. Erst mit den Arbeiten zu Kafkas „Amerika“ und Musils „Mann ohne Eigenschaften“ beginnt eine literarische Auseinandersetzung, die das Eigene betrifft. Sie schreibt erste Reiseeindrücke auf, mit jener Bobachtungsgabe, die dem Auge traut, und sie findet für sich eine Referenzfigur, die ihr viel bedeutet: Simone Weil, die Philosophin, Klassenkämpferin und mystische Theologin.
Was beide verbindet, ist ihre Unbedingtheit, Bachmann hat vor allem die Konsequenz interessiert, mit der Weil sich aus ihrem bürgerlichen Beruf als Lehrerin ausklinkte, um in der Fabrik, unter den entwürdigenden Bedingungen fordistischer Schwerstarbeit am Band zu erfahren, was das Leben der Arbeiter bestimmte. Sie hat den existentiellen Ernst dieses „Selbstversuchs“ begriffen, obwohl Weils „Cahiers“ damals erst zum kleinen Teil bekannt waren.
Dass man unter den von Weil gewählten Bedingungen nicht bloß vegetieren, sondern philosophieren konnte, dass darin ein „Mystisches-in-Beziehung-Setzen“ möglich war, hat sie bewundert und zugleich als einen für sie nicht gangbaren Weg erkannt: „Es wäre unsinnig zu behaupten, dass man daran teilhaben, es sich wie eine Erkenntnis zunutze machen könnte…Auf uns kommt aber davon, sofern wir dafür empfänglich sind, die Schönheit, die allem innewohnt, was rein gedacht und rein gelebt worden ist. Von dieser Schönheit erhellt erblicken wir immer wieder, was die Dunkelheit uns nicht sehen lassen will: das unzerstörbare Gesicht des Menschen in einer Welt, die sich zu seiner Vernichtung verschworen hat.“
Die Dunkelhaft der Welt
Hier wird in einem Radio-Essay, der die meisten Hörer vermutlich ratlos gelassen hat, ein Grundton ihres Werkes angeschlagen, das verzweifelte Aufbäumen der (vergänglichen) Schönheit gegen den (von Menschen herbeiführbaren) Untergang der Welt. Sie hat auf Glück nie verzichten wollen – auch wenn es sich von ihr fern hielt. „In der Dunkelhaft der Welt“, angesichts der kommenden „härteren Tage“, die sie in einem ihrer berühmtesten Gedichte beschwört, hält sie fest daran, dass es anders sein könnte – und müsste. Daraus speist sich auch ihr politisches Engagement, gegen den Krieg, den Atomkrieg zumal, der zu ihren Lebzeiten als eine reale Möglichkeit erschien (dann als Skelett im Wandschrank der Weltgeschichte entsorgt wurde, das erst in diesen Tagen wieder von innen an der dünnen Schranktür zu klopfen beginnt).
In ihrer Dankrede für den Hörspielpreis der Kriegsblinden hat sie 1959 konstatiert: „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“, in „Musik und Dichtung“ eine vortreffliche Poetik ihrer librettistischen Arbeit gegeben, in den Frankfurter Poetik-Vorlesungen (1959/60) Rechenschaft über die eigenen Vorstellungen von Dichtung öffentlich nachgedacht, wobei sie so weit wie möglich von sich selbst abzusehen trachtete. Gleichwohl sind diese Texte für die Beurteilung ihrer eigenen Versuche, seien sie lyrisch oder prosaisch gewesen, höchst aufschlussreich.
Über den Dichter - sie scheut das emphatische Wort nicht - sagt sie den Studenten: „Weil er Richtung hat, weil er seine Bahn zieht, wie den einzigen aller möglichen Wege, verzweifelt unter dem Zwang, die ganze Welt zu der seinen machen zu müssen, und schuldig in der Anmaßung, die Welt zu definieren, ist er wirklich da. Weil er von sich selbst weiß, ich bin unausweichlich, und weil er nicht ausweichen kann selber, enthüllt sich ihm seine Aufgabe. Je mehr er zu wissen anfängt, je deutlicher sie ihm wird, desto mehr werden seine Werke begleitet von einer geheimen oder unausgesprochenen theoretischen Umsorge.“ Auch der hat sie sich nicht verweigert, und sei es in der Form von Maskenspielen, die sie liebte.
Großer Erkenntnishunger
Sie hat hoch gedacht von der Dichtung und ihre Ansprüche an sich selbst wurden immer strenger – bis zum Scheitern. Man muss nur einmal verfolgen, durch wie viele Stufen und Verwandlungen „Böhmen liegt am Meer“, das ihr liebste ihrer Gedichte, gehen musste, ehe es die Vollkommenheit erreichte, in der es sich heute darbietet (Hans Höller ist dem in einem anderen Buch nachgegangen), um zu begreifen, wie groß der Druck gewesen sein muss, den ihre Selbstzensur, diese unausweichliche Verurteilung zur Vollkommenheit, auf sie ausübte. Darum sind die „Todesarten“ Fragment geblieben. Dichten, das war für sie ein ständiges Hadern mit dem Tod und der Vergänglichkeit der Liebe.
Sie hat in einem glänzenden Essay über den Psychoanalytiker Georg Groddeck (für den „Spiegel“, der ihn am Ende nicht druckte) dessen wildes Denken, seine „Grobheit“ als Arzt und seine Theorie des „Es“ untersucht und auch in ihm solch eine faszinierende Figur gefunden, deren ganz anders geartete Unbedingtheit sie faszinierte. So war sie nicht. Vieles, was in diesem „Kritischen Schriften“ gesammelt ist, blieb im Entwurf stecken (ohne belanglos zu sein – es ist häufig wichtig für sie selbst gewesen, und damit schließlich auch wichtig für Leser), anderes erschien an ganz anderer Stelle als geplant, manches schließlich ist Brotarbeit, der man eher das Pflichtgefühl anmerkt als das Gelingen.
Ingeborg Bachmann war keine genuine Essayistin, doch eine nachdenkliche Person mit einem großen Lese- und Erkenntnishunger. Und der kommt ihren wunderbaren Landschaftsessays zu Tage oder in den liebenden Porträts von Dichtern, die sie schätzte: Proust, Ungaretti (den sie wunderbar übersetzt hat), Witold Gombrowicz oder Thomas Bernhard. Und wenn sie über die Callas schreibt, oder über Libretti, die sie für Henze schrieb, dann spürt man etwas von dem Glück, das aufzuspüren sie nie aufgegeben hat, mochte es auch siriusweit entfernt zu sein scheinen.
So sind diese „Kritischen Schriften“ am Ende doch eine notwendige Ergänzung zum Werk einer der größten Poetinnen der Moderne.
Literaturangaben:
HÖLLER, HANS (Hrsg.): Bachmann, Ingeborg / Henze, Hans Werner: Briefe einer Freundschaft. Piper Verlag, München 2004, 538 S., 24,90 €.
ALBRECHT, MONIKA / GÖTTSCHE, DIRK (Hrsg.): Bachmann, Ingeborg: Kritische Schriften. Piper Verlag, München 2005. 828 S., 49,90 €.