Von Britta Gürke
MÜNCHEN (BLK) - Ob Al Pacino im Film „Scarface“ oder Marlon Brando in „Der Pate“ - Hollywood verpasst der Mafia gerne vergleichsweise menschliche Gesichter, manchmal sogar einen gewissen Kult-Faktor. Während einige seiner Altersgenossen mit Al Pacino als blutrünstigem Mafioso auf dem T-Shirt herumlaufen, hat Roberto Saviano die Mafia schon von Kindheit an von einer ganz anderen Seite kennen gelernt. Der Italiener ist zwar erst vor wenigen Wochen 30 Jahre alt geworden, aber ohne Polizeischutz kann er nicht mehr auf die Straße. Ständig muss er den Wohnort wechseln, Morddrohungen gehören für ihn zum Alltag. Saviano kämpft seit Jahren gegen die Mafia und deckt ihre kriminellen Machenschaften auf. Dafür wurde der Schriftsteller am Montag (16.11.) in München mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.
„Es ist für mich besonders wichtig, hier zu sein, weil sich in Italien langsam eine Art Nebel aufbaut, ein Nebel des Misstrauens, weil ich etwas Kritisches gesagt habe“, sagte Saviano wenige Stunden vor der offiziellen Preisverleihung in München. 2006 hatte er mit seinem Buch „Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra“ europaweit für Aufsehen gesorgt. In diesem Jahr erschien „Das Gegenteil von Tod“, erneut eine Mischung aus Fakten und einer fiktionalen Romanhandlung.
„Jeder, der sich in Italien mit diesem Thema beschäftigt, wird schief angesehen. Auch von seinen Kollegen, von Schriftstellern und Intellektuellen.“ Obwohl noch viel passieren müsse, sei das Thema Mafia aber heute im Ausland nicht mehr ein solches Randthema wie noch vor ein paar Jahren. „Dass ich heute hier bin, ist ein Beweis, dass das Interesse gestiegen ist. Das gibt mir sehr viel Hoffnung.“
Und Hoffnung können die Menschen, die in Italien gegen die Mafia aufbegehren, gut gebrauchen, meint Saviano. „Werft einen Blick auf das, was passiert“, forderte er deshalb in München. „Verschließt nicht die Augen. Desinteresse der Bevölkerung isoliert die Menschen, die sich einsetzen im Kampf gegen die Mafia.“
Von frühester Kindheit an war die organisierte Kriminalität in Savianos Leben präsent. Als Sohn eines Arztes und einer Lehrerin wurde er in der Kleinstadt Casal di Principe bei Neapel geboren. Sie gilt als Hochburg der neapolitanischen Verbrecherorganisation Camorra, die enge Beziehungen zur Wirtschaft unterhält. Als Savianos Vater in den 1980er Jahren ein Camorra-Opfer zur ärztlichen Versorgung ins Krankenhaus brachte, wurde er zur Strafe zusammengeschlagen.
Saviano studierte Philosophie in Neapel, wurde Journalist und tauchte schließlich tief in die Strukturen der Camorra ein. In „Gomorrha“ beschreibt er ihre Vernetzung mit legalen Wirtschaftsstrukturen und der Politik. Während der Recherche sprach er mit vielen Camorra-Mitgliedern, durchforstete Akten, verfolgte Gerichtsprozesse und arbeitete verdeckt als Hafenarbeiter.
Trotz aller Einsichten in die tiefe Verankerung der Mafia in Italien und ganz Europa glaubt er, dass sie irgendwann doch erfolgreich beseitigt werden kann. „Wir waren in der Geschichte ja schon oft ganz, ganz nah dran“, sagte er. Die Wirtschaftskrise allerdings habe den Kriminellen jetzt wieder neuen Auftrieb gegeben, denn ihre wirtschaftliche Bedeutung verleihe ihnen nun noch mehr Macht.
Ganz Europa müsse sich zusammenschließen, vor allem Italien, Deutschland, Spanien und Osteuropa, forderte er. Einheitliche Gesetze müssten her, Absprachen besser funktionieren, Geldströme überwacht werden - nur so könne das Netz der Mafia zerstört werden. Er selber werde in jedem Fall weiterschreiben, trotz Lebensgefahr. Zwei Gründe treiben ihn an. Da sei zum einen der Ehrgeiz, möglichst vielen Menschen von den Machenschaften der Mafia zu berichten, sagte er. „Der zweite Grund ist meine fast schon an Rache grenzende Wut.“