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Schreifrequenz eines Babys

In ihrem aktuellen Roman schickt Julia Zange die Hauptfigur Lore in „Die Anstalt der besseren Mädchen“

© Die Berliner Literaturkritik, 15.04.09

 

Zu den interessanteren Romanen des letzten Herbstes gehört Julia Zanges „Die Anstalt der besseren Mädchen“. Liebe das Leben, aber zu Deinen Bedingungen. Das ist die Herausforderung für Lore, die beladen mit Melancholie in den Tag hineinwartet. Es sei denn, ihr Freund Malte hat einen Aufgabenzettel vorbereitet. Sie kommt sonst nicht mehr zurecht; quält sich. Als sie schließlich schwanger wird, gipfelt ihre Lebensweisheit im Wissen um die nicht zu übertönende Schreifrequenz eines Babys. Da hat sich die Natur ja wirklich etwas einfallen lassen.

Auch Julia Zange hat sich was einfallen lassen. Sehr gelungen sind die halluzinierten Ausflüge, die sich in einer psychosomatischen Klinik abspielen, ebenso tief wie die unangenehm unterkühlten Stadtspaziergänge. Lore gerät schließlich in ein ominöses Mädchencamp und wenn es etwas wie den geschriebenen Weichzeichner gibt – die Autorin beherrscht seine Handhabung. Lange, bevor sie ihre Figur die Pop-Referenzen zitieren lässt, gelingt ihr die Herstellung dieser authentischen Atmosphäre (wie in Filmen von David Hamilton). 

Lore genießt die neue Umgebung einigermaßen, denn sie kann das Baby auch mal abgeben. Zwischen den in der ländlichen Idylle untergebrachten Hilfsamazonen entwickelt sich Lore fast zur Erwachsenen, wird von Malte wieder abgeholt. Was bleibt, ist eine kleine Falte am Kinn des Babys. Eine dieser Falten, die einst einem Trapezkünstler klar machte, dass seine Bedingungen dem Leben nicht recht passten.

Die Handlung ist nicht sonderlich komplex. Komplex ist Lores Wahrnehmung, komplex sind die Beschreibungen, selbst der Lakonismus und die Schwere der ganzen Kleinigkeiten, von denen sich Lore an die Wand gespielt sieht.

Leider wandelt der Text auf zwei sprachlichen Pfaden. Es gibt den dichten, poetischen Roman und es gibt rauen Jargon, geprägt von Blasiertheit, Härte, Coolness. Das wäre kunstvoll, bildeten sich dadurch Züge der Figuren oder gewollte Konturen der Erzählstimme ab. Dem ist aber nicht so. „Malte, wenn ich könnte, würde ich das da draußen ficken. Malte sagt: Scheiß Impressionen“. Das Problem ist nicht einfach der Wechsel zwischen Kraftausdrücken und Kunstsprache.

Das Problem ist die Nicht-Nachvollziehbarkeit dieses Wechsels. Malte, der freundliche, aufopfernde Antagonist gibt überwiegend den Kühlen, ist ja auch (Assistenz-)Arzt und darf sich trotzdem sehr bald mit atypischem Verve engagieren: „du brauchst dich nicht ängstigen, du könntest ein verbranntes Stückchen Mensch sein, wenn es hier brennen würde, oder keine Beine mehr haben“ Er würde sich jedenfalls kümmern und es ist ja auch klar, was gemeint ist. Obwohl wir schon wissen, dass Malte in erotischer Hinsicht zu übergroßen Gesten neigt ist die sprachliche Übersetzung dieses Übergewichts nur sporadisch durchgeführt und wirkt dann, wie hier, deplaziert.

Der Höhepunkt dieser Legierung zweier Sprachwelten ist ungefähr in der Buchmitte zu finden, als nicht nur der aufwändigeren Sprache, sondern auch dem angenehm subtilen Erzählen der Garaus gemacht wird: „Was ist das Dilemma? überlegt Lore. Sie kann sich dem Lauf der Dinge fügen und entscheiden, glücklich zu sein, aber sie möchte die schützende Decke der Traurigkeit nicht hergeben.“ Frage Figur, Antwort Erzählstimme, Figur kann, Figur möchte aber nicht. Möchte nicht? Bis hierhin stand doch fest, dass Lore zwangsgestört, wenigstens depressiv, antriebslos ist. Und jetzt will sie auf einmal nur nicht?

Die offensichtlich fehlende und nicht gewollte Entwicklung innerhalb des Romans scheint sich hier verstecken zu wollen – wo es plötzlich so aussieht, als hinge der Ausbruch aus der Lethargie von Lores Wollen ab. Dass es diese Stelle auf den Klappentext geschafft hat ehrt sie nicht weiter – sie ist viel zu viel. Was danach tatsächlich passiert, also der Aufbruch in dieses Camp, wird schlüssig umgesetzt. Aber nach einer solchen Ansage fühlt man sich wie in einem schlechten Film, in dem alle irgendwie verschlüsselten Hinweise oft völlig unverkrampft und zufällig expliziert werden müssen, weil jemand überzeugt ist, die Zielgruppenstruktur begriffen zu haben.

Um nicht falsch verstanden zu werden, das Buch ist allemal lesenswert. Aber es ist eben auch sehr schnell vorbei, da die durchscheinende stellenweise Willkür nicht jedem Sprachbild zu seinem Recht verhilft.

Von Kay Ziegenbalg

Literaturangaben:
ZANGE, JULIA: Die Anstalt der besseren Mädchen. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 158 S., 15 €.

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