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Schriftsteller Tschingis Aitmatow in Nürnberg gestorben

In seinen Werken flocht er oft Mythen aus seiner kirgisischen Heimat ein

© Die Berliner Literaturkritik, 11.06.08

 

NÜRNBERG / MOSKAU (BLK) – Der weltweit bekannte Schriftsteller Tschingis Aitmatow („Dshamilja“) ist tot. Der 79-Jährige starb nach Angaben des Klinikums Nürnberg am Dienstagnachmittag (10. Juni 2008) an den Folgen einer schweren Lungenentzündung, die schließlich zu einem Lungenversagen führten. Aitmatow war vor drei Wochen aus dem Krankenhaus in Kasan (Russland) auf die Intensivstation nach Nürnberg verlegt worden, nachdem zur Lungenentzündung auch noch Nierenversagen gekommen war. Aitmatow wurde seither von Spezialisten intensiv behandelt und in ein künstliches Koma versetzt. Der Kirgise zählte zu den populärsten Schriftstellern aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. In seinen Werken, die in rund 150 Sprachen übersetzt wurden, flocht er oft Mythen aus seiner kirgisischen Heimat ein.

In Deutschland verfügte Aitmatow seit Jahrzehnten über eine treue Leserschar. In den Schulen der DDR war seine Liebesgeschichte „Dshamilja“ Pflichtlektüre. Auf einer Lesereise hatte Aitmatow 2007 mit seinem Roman „Der Schneeleopard“ viele Städte in Deutschland und der Schweiz besucht. Auf der Leipziger Buchmesse war Aitmatow im vergangenen Jahr von dermaßen vielen Lesern mit Autogrammwünschen bedrängt worden, dass er in einen Nebenraum in Sicherheit gebracht werden musste.

Aitmatow hatte Mitte Mai einen Schwächeanfall erlitten, als er mit einem Filmteam im Wolgagebiet, 800 Kilometer östlich von Moskau, unterwegs war. Nach einer Erstbehandlung in der russischen Stadt Kasan war der an Diabetes leidende Aitmatow auf Anraten der Mediziner nach Deutschland geflogen worden.

Auch in seiner Heimat Kirgistan erfuhr Aitmatow große Bewunderung. Die zentralasiatische Republik rief 2008 mit Blick auf den 80. Geburtstag ihres berühmtesten Sohns zum Aitmatow-Jahr aus. Zu Ehren des Autors will die ehemalige Sowjetrepublik einen Aitmatow-Nationalpreis stiften, der herausragenden Vertretern der kirgisischen Kultur überreicht werden soll.

Aitmatow wurde am 12. Dezember 1928 im kirgisischen Dorf Scheker im heutigen Grenzgebiet zu Kasachstan geboren. Der Schriftsteller hatte seinen internationalen Durchbruch 1958 mit der Erzählung „Dshamilja“, die er als Abschlussarbeit am Moskauer Gorki-Literaturinstitut geschrieben hatte. In den 1970er Jahren löste sich der zweisprachig kirgisisch und russisch aufgewachsene Autor zunehmend von der staatlich propagierten Poetik des Sozialistischen Realismus. Er eröffnete dem Leser eine faszinierend fremde Welt, indem er in seine Erzählungen immer wieder auch mythische Zitate seiner kirgisischen Heimat einarbeitete.

Aitmatow brachte in seinem Werk aber auch soziale Konflikte und politische Themen zur Sprache. Neben seiner schriftstellerischen Arbeit war er viele Jahre Botschafter im Ausland. (dpa/wip)

 

Tschingis Aitmatow – die Werke der „Stimme Kirgistans“

HAMBURG (BLK) – Tschingis Aitmatow hat in der ehemaligen Sowjetunion aus mündlich überlieferten Texten seiner mittelasiatischen Heimat eine kirgisische Nationalliteratur geformt. Als „Stimme Kirgistans“ sah er dabei keinen Widerspruch zwischen seinen hohen Parteiämtern und seinen Büchern, in denen er oft die Suche nach den mythisch-religiösen Wurzeln des Menschen beschreibt. Eine Auswahl seiner Werke:

„Dshamilja“ (1958): Die Liebesgeschichte brachte den internationalen Durchbruch für Aitmatow. Die Erzählung veranschaulicht die Konfrontation zwischen der alten orientalischen Ordnung Kirgistans und westeuropäischem Denken, das die Entscheidung zweier Liebender zur Lösung aus dem traditionellen Familienverband bestimmt.

„Abschied von Gülsary“ (1966): Für diesen Roman erhielt Aitmatow den Staatspreis der UdSSR. Die einfühlsame Geschichte über einen Hirten und ein Pferd erzählt von gemeinsamen Siegen und Niederlagen, von Sehnsüchten und Enttäuschungen.

„Der weiße Dampfer“ (1970): Die Novelle zeigt am Schicksal eines elternlosen Jungen das Gute und Böse in der Welt. Für das Gute stehen religiöser Glaube und die Einbindung in die Tradition, das Böse ist mit Gewinnstreben sowie der Missachtung von Alten, Kindern und Tieren verbunden.

„Der Richtplatz“ (1985): In diesem Perestroika-Roman kommen im Sozialismus tabuisierte Themen wie Drogen, Kriminalität und Kritik an der Planwirtschaft zur Sprache. Aitmatow beschreibt am Beispiel einer zerstörten Umwelt den Konflikt zwischen einer materialistisch eingestellten Sowjetunion und den Traditionen Zentralasiens.

„Der Schneeleopard“ (2007): Ein alter Leopard erwartet ein ruhiges Lebensende und wird von einem arabischen Prinzen gejagt. Das Buch ist die literarische Aufarbeitung der Gegenwart Kirgistans, das nach islamistischen Terroranschlägen in aller Welt in einen Strudel von religiösem Extremismus und Gewalt geraten ist. (dpa/wip)


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