Von Nada Weigelt
Es ist eine düstere Familiengeschichte, die der US-Schriftsteller Jim Harrison (71) in seinem Roman „Schuld“ erzählt. Der Burkett-Clan hat in einer abgelegenen Gegend ganz im Norden Amerikas seit mehr als hundert Jahren mit Holzwirtschaft im großen Stil Raubbau an der Natur betrieben — und sich auf Kosten von Menschen und Umwelt bereichert. David Burkett, der in der vierten Generation diesen Vornamen trägt, will mit der unseligen Familientradition brechen. Angetrieben vom Hass auf seinen despotischen Vater und emotional verlassen von einer trinkenden, tablettensüchtigen Mutter hofft er, die Sünden seiner Vorfahren zu ahnden — eine Mischung aus Entwicklungsroman, Familiensaga und Racheparabel.
David entscheidet sich, die Familiengeschichte zu schreiben, um so die Dämonen der Vergangenheit zu bannen. Wie besessen wandert er durch die unwirtlichen Weiten im Norden Michigans, in denen Millionen Baumstümpfe stumme Zeugen für die Zerstörung durch seine Ahnen sind. Immer mehr gerät er selbst in einen Strudel aus Angst, Schuld und Selbstzweifeln: Anders als seine Schwester Cynthia, die rebellisch mit der Familie bricht, bleibt David ihr fast bis zur Selbstzerstörung verbunden. Auch die vielen Frauen, die seinen Weg kreuzen, können ihn von seiner Obsession nicht abbringen. Er werde immer der verletzte kleine Junge seines Vaters bleiben, prophezeit ihm eine Freundin — und behält auf bittere Weise recht.
Besonders packend sind in dem Roman die Schilderungen der ebenso großartigen wie geschundenen Natur, die der selbst aus Michigan stammende Autor und Lyriker liefert. „Beschreibt Harrison einen Schneesturm, kann man die Kälte spüren. Beschwört er ein Gewitter, steht der Himmel in Flammen“, lobte der „San Francisco Chronicle“ 2004, als das Buch in den USA auf den Markt kam. Weniger lebendig erscheinen dagegen die Menschen. Vor allem die Hauptfigur bleibt auf eine seltsame Weise entfernt, dem Mitgefühl unzugänglich. Wer ist David Burkett? Er weiß es nicht — und der Leser weiß es eigentlich auch nicht.
Vielleicht ist es Harrisons Erzähltechnik, die den Zugang erschwert? Das Buch ist in drei Zeitabschnitte gegliedert — die 60er, die 70er und die 80er Jahre. Jeweils am Anfang stirbt ein Mensch, der für David eine besondere Bedeutung hat. Aber erst in der folgenden Rückblende erschließt sich die Geschichte.
So beginnt auch der Roman eigentlich mit dem Ende. Der Vater, ein rücksichtsloser, geldgieriger und ausschweifender Despot, der einst die zwölfjährige Tochter eines Freundes vergewaltigt hat, wird von der eigenen Vergangenheit auf brutale (allerdings auch recht konstruierte) Weise eingeholt. Mit zwei abgehackten Händen, die Arme wie bei seinen gefällten Bäumen zu Stümpfen verunstaltet, liegt er verblutend mit seinem Sohn in einem Boot und bittet um Erlösung.
David lässt ihn ins Wasser gleiten und freut sich, den Körper langsam versinken zu sehen. Eine seltsame Art, von seinem Vater Abschied zu nehmen, konstatiert er kühl. Zuvor hat der Alte in einem Versuch der Versöhnung bekannt, wie sehr auch er unter seinem Vater gelitten hat. „Nachdem er mich aufgezogen hatte, war es eine Erlösung, in den Zweiten Weltkrieg zu ziehen.“
In den USA stieß „Schuld“ auf ein gemischtes Echo. „Dieser ausschweifende Roman wird nicht viel zu Harrisons Ruf als Stilist beitragen, aber mit seinem Porträt von Vater und Sohn hat er einen bleibenden Beitrag zur Galerie der ‚bösen Väter’ der Literatur geleistet“, befand etwa die „New York Times“. Zuvor war Harrison auch als Autor von Gedichten und Novellen bekannt geworden. Seine Erzählung „Legenden der Leidenschaft“ wurde mit Brad Pitt und Anthony Hopkins verfilmt.
Literaturangabe:
HARRISON, JIM: Schuld. Arche Literatur Verlag, Hamburg 2009. 464 S., 24,90 €.
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