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„Sehnsucht nach der Sehnsucht“

Die Liebe Kurt Tucholskys — ein radikaler Realismus

Von: BJÖRN HAYER - © Die Berliner Literaturkritik, 28.08.09

Im Grunde genommen war Kurt Tucholsky Zeit seines Lebens ein Idealist. Obwohl seine Texte oftmals von dunkelstem Pessimismus gezeichnet sind und manchmal nichts als Verzweiflung den Raum bedeckt, so galten seine Werke doch immer dem einen glücklichen Zwecke, die Welt auf irgendeine Weise zu verbessern. Als Satiriker waren seine Waffen die Ironie und ein unerbittlicher Zynismus, der vor nichts zurückschreckte. Mit dem Schreiben kämpfen. Unermüdlich, bis in den Tod. Wie triste und fassungslos muss diese Welt des aufkommenden Faschismus, des blinden Opportunismus der Massen und der allgemeinen Decadence für Tucholsky gewesen sein? Wahrscheinlich so unerträglich, dass ein Überleben kaum noch lebbar war. Sein Freitod ist Ausdruck von hoffnungsloser Ohnmacht und dem bitteren Gefühl, dass doch alles sinnlos sein müsste.

Was ihn nichtsdestotrotz immer angetrieben hat, war trotz allen Unmuts die Liebe in all ihren Facetten. Wohingegen der kritische Geist Tucholskys bis heute noch nichts an Wirkungskraft eingebüßt hat, ist seine Liebeslyrik nämlich weitgehend unbekannt. Die neu erschienene Gedichtsammlung „Sehnsucht nach Sehnsucht“ zeigt uns einen vielschichtigeren Tucholsky. Zwar behält er, wenn er schreibt „Was kann der Mensch denn mit sich machen! / Wie er sich anstellt und verrenkt: / Was Neues kann er nicht entfachen. / Es sind doch stets dieselben Sachen...“ auch in Fragen der Liebe die schwarzweiße Brille der Ironie und des Realismus auf. Gleichwohl ist die Liebe für ihn mehr als die bloße leidvolle Existenz. Sie ist Illusion und Verzückung zugleich. Es ist die Sehnsucht, das lustvolle Begehren, das Tucholsky dazu bringt, auszubrechen und somit eine nouvelle passion seiner Poesie zu eröffnen. Sei es die heimliche Lust im Gedanken in „Nebenan“ oder die Lobpreisung der Geliebten in „Sehnsucht nach der Sehnsucht“. Die Liebe übersteigt alles. „Die Wirklichkeit hat es nie gekonnt, / weil sie nichts hält, / Und strahlend überschleiert mir dein Blond / die ganze Welt.“ Wenn die Welt auf den Abgrund zusteuert, so erhellt die Liebe für Tucholsky zumindest den Moment, indem sie ihn verschleiert, in das Tuch der Illusion wickelt.

Doch wem galt eigentlich seine Liebe? Sicherlich galt sie vor allem Mary Gerold, seiner Ehefrau. In seinen Gedichten „Für Mary“ setzte er ihr ein melancholisches Denkmal. Es handelt von Sehnsucht und dem Traum der Zweisamkeit, die an den Grenzen der Realität, der Distanz, scheitert und erst zuletzt sich zu erfüllen scheint. Wenn er sich nach Liebe sehnte, war es dabei jedoch stets die Erkenntnis, dass sie letztlich unmögliche sei. Obgleich Kurt Tucholsky seiner Mary in seinem Leben verbunden war, trieb ihn die Leidenschaft immer erneut zu Abenteuern und Affären. „Dass man nicht alle haben kann - !“ beklagt er sogar in „Mikrokosmos“ und offenbart, dass Treue für sich kaum durchhaltbar gewesen sein muss. Er liebte die Frauen und diese verfielen ihm. Was in seiner Lyrik ganz klar durchschimmert, ist nicht die einzig wahre Liebe, welche allein einer einzigen Frau des Herzens gewidmet ist. Ferner bezeichnet Tucholskys lyrisches Topos die Liebe zu allen Frauen, zur Weiblichkeit selbst. Mal mit Witz und Koketterie, dann wieder mit verhängnisvoller Verzweiflung widmet er den Frauen mit seinen Gedichten eine charmant-glaubhafte Hommage. In souveränem, kaum jemals ornamentiertem Stil erzeugen seine Gedichte eine Einheit im Gegensatz. So unterschiedlich seine Verse auch sein mögen. Sie sind wunderschöne Zeugnisse der Liebe zur Frau. Doch worin genau das Paradox?

Tucholsky war bis zuletzt zutiefst gespalten. Er liebte die Frauen. Aber wie? Zwischen Bejahung und Ironie schwanken seine Gedichte in der Sphäre der Zerrissenheit. Sind Gewitter und klarer Sternenhimmel zugleich. Sei es der „Ehekrach“, „Die Insel“ oder „Das Aus“ – es sind Relikte eines Schriftstellers, der nie zu sich gefunden hat. Sie sind Bilder eines Don Juans, der die Beziehung brauchte, sie aber sofort wieder verwerfen musste, um nicht gefangen zu sein.

Was bleibt, ist in jedem Fall die Leidenschaft im buchstäblichen Sinne. Ihr konnte Tucholsky nie entkommen, weil sie ihn immer getrieben hat. „Und was so lange widerstanden, / das schäumt als Quelle nun zu Tal. -“ und bricht jegliche Konvention. Die Liebe ist das, was ihn frei gemacht hat. Deswegen war die Beziehung zwischen ihm und Mary ein Modell der Unmöglichkeit, da die ewige Liebe ihm nicht mehr als Utopie zu sein schien. So hält sein Gedicht den Moment der Trennung realistisch fest „Einmal müssen zwei auseinandergehn; / ... /es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der / Zeit. / Solche Straßen scheiden sich in der Unendlichkeit. /.../ Einmal hat es euch zusammengestülpt, / ihr habt euch erhitzt, seid zusammenge-/ schmolzen, und dann erkühlt - / Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun / Herab-: / ein neuer Mensch“.

Wenn auch traurig und so einsam, wie Tucholskys Gemüt, erweist sich seine Lyrik als Literatur des Lebens. Seine Liebesgedichte sind radikal realistisch und durchaus wegweisend für einen neuen Verständniszugang zu diesem großen Dichter der deutschen Literaturgeschichte. Wenn er überhaupt Hoffnung hatte, lag diese sicherlich nicht zuletzt darin, dass eben die Liebe einen „neue[n] Mensch[en]“ schaffen könne. Veränderung und Schöpfungskraft sind ihre Attribute und doch jenseits jeglicher Transzendenz. Sie ist im Hier und Jetzt, ist Zeit und Raum verpflichtet.

Wer den Tucholsky meinte, als besten deutschsprachigen Satiriker erkannt zu haben, der hat bestimmt nicht ganz unrecht. Aber das ist längst nicht alles. Nur wer diese wahrhaftigen Zeilen aus dessen tiefstem Herzen gelesen hat, kann mit recht behaupten, die Wirkungskraft seiner Sprache ansatzweise begriffen zu haben.

Literaturangabe:

TUCHOLSKY, KURT: Sehnsucht nach der Sehnsucht. Die schönsten Liebesgedichte von Kurt Tucholsky. Herausgegeben von Anna Keel und Daniel Kampa. Diogenes Verlag, 2009. 176 S., 7,90 €.

Weblink:

Diogenes Verlag

Björn Hayer ist Student der Germanistik an der Universität Mainz und arbeitet als freier Literaturjournalist


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