MÜNCHEN (BLK) – Im Juli 2009 erschien Michael Jürgs’ Sachbuch „Seichtgebiete – Warum wir hemmungslos verblöden“ bei C. Bertelsmann.
Klappentext: Alle wissen es, keiner schreit auf: Ob falsche Betroffenheit in Talkshows, prollige Vorbilder wie Mario Barth oder Dieter Bohlen, von Supernannys statt von ihren Eltern erzogene Kinder oder die selbst vom Feuilleton zu Ikonen der Subkultur stilisierten Bestsellerautoren à la Roche, Bushido und Co. – überall breiten sich Seichtgebiete und Verblödung aus. Jürgs prangert nicht deutsch bierernst, sondern indem er sie lächerlich macht, jene an, die zynisch schamlos mit der Verdummung Geld machen. Er schont auch nicht sich und seine Branche, und erst recht nicht die Oberlehrer der Nation, die nur angeekelt ihre Nasen rümpfen. Mit seiner provokanten Streitschrift warnt Jürgs vor den Folgen einer verödenden demokratischen Kultur.
Michael Jürgs ist Journalist und war u. a. Chefredakteur von „Stern“ und „Tempo“. Er hat sich mit großen Biographien (z.B. über Romy Schneider, Axel Springer und Günter Grass) und engagierten Sachbüchern (u. a. „Der kleine Frieden im Großen Krieg“, „Alzheimer – Spurensuche im Niemandsland“ oder zuletzt „Wie geht’s, Deutschland?“) einen Namen gemacht. Viele seiner Bücher wurden verfilmt. (hel/beh)
Leseprobe:
©C. Bertelsmann©
Es gibt heute zwar mehr Verblödete denn je, aber auch das ist einfach zu erklären. Mittlerweise ist eine ganze Generation von Deutschen – hier stimmt endlich mal der Begriff „Generation“! – aufgewachsen mit Tutti-Frutti-TV. Das konnte nicht ohne Folgen für den Verstand bleiben. Im Westen waren es seit Gründung des Privatfernsehens 25 Jahre, im Osten, wo RTL und Sat.1 bis zum Untergang der DDR nicht empfangen werden konnten, nur 20. Inzwischen ist zusammengewachsen, was zusammengehört, wie an den Quoten bestimmter Sendungen deutlich wurde. Doch ebenso viele tapfere Widerständler haben, im Westen wie im Osten, alle Attacken der Blödmacher abgewehrt und sich jenseits der Seichtgebiete in bewässerten Oasen behauptet. Auch unter den Nicht-Blöden ist zusammengewachsen, was zusammengehört. Die neue deutsche Grenze, an der nur verbal geschossen wird, verläuft zwischen Wissenden und Unwissenden. Letztere müssten mit allen Mitteln aus den Fesseln der Blödmacher befreit werden. Denn auch sie werden für die Zukunft der Nation gebraucht.
Aber wie soll das gelingen?
Weil heute weder Weise noch Götter helfen, weil verbretterte Köpfe mit Argumenten nicht zu löchern sind, weil auch das Recht auf Dummheit zu den unveräußerlichen Menschenrechten zählt, ist im Kampf gegen die Blöden außer selbstverständlicher Tapferkeit eine Strategie bestehend aus List, Tücke, Witz, Fantasie nötig.
Auf Altkluge, die ungebrochen an sich und die Überlegenheit ihrer göttlichen Gedanken glauben, muss dabei verzichtet werden. Die Alten sind zwar immer noch klug und weise, doch nicht mehr so beweglich wie einst. Deshalb schweben sie über den Niederungen des Alltags. Wenn auf Erden alle gültigen Normen zum Teufel gehen, wenn die letzten Tabus sterben, wenn singende, grölende, tanzende Prolos die Mattscheiben bevölkern, wenn Lehrer von ihren Schülern gemobbt, Eltern von ihren Kindern beschimpft, wenn sprachlose Bücher die Hirne verkleben, wenn brutale Killerspiele echte Killer produzieren, wenn eine Gesellschaft Shakespeare mit einem Hersteller von besonderen Angelruten statt mit jenem Besonderen assoziiert, bedarf es sprachgewaltiger, laufstarker Guerillataktik statt mahnender Worte. Gegen die Besatzungsmacht der Kopflosen ist eine verbale Intifada nötig.
Darf man das?
Darf man.
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Literaturangabe:
JÜRGS, MICHAEL: Seichtgebiete – Warum wir hemmungslos verblöden. C. Bertelsmann, München 2009. S. 256, 14,94 €.
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