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Seine leuchtenden Farbflächen atmen im Raum – Eine Retrospektive zu Mark Rothko

In Rothkos Arbeit vereinte sich die Suche nach einer archetypischen Bilderwelt mit einem starken Gefühl für bühnenhafte Wirkungen

Von: KLAUS HAMMER - © Die Berliner Literaturkritik, 14.04.08

 

Schaut man in seine Bilder, in denen dunklere und hellere Farben ineinander übergehen, dann hat man das Gefühl, als ob sich etwas vor unseren Augen verwandelt, schärfer oder klarer wird, sich uns nähert und sich wieder entfernt oder vielleicht ganz verschwindet. Von seinen monumentalen Bildern geht etwas aus, was außerhalb unserer Realitätswelt zu liegen scheint. Die Welt der Vorstellung, in die uns Mark Rothko versetzt, liegt Lichtjahre entfernt von unserer Alltagswelt.

Diesem großen amerikanischen Maler, der sich immer weigerte, als „abstrakter“ Künstler bezeichnet zu werden, hat die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München mit über 100 Gemälden und Papierarbeiten eine große Retrospektive ausgerichtet (bis 27. April). Sie greift zurück auf eine italienische Rothko-Präsentation, die im Winter 2007/08 in Rom zu sehen war. Da einige Werke nicht die Reise nach München antreten konnten, wurden zusätzlich aus den wenigen deutschen Museen, die über ein Rothko-Gemälde verfügen, Hauptwerke aus dessen klassischer Periode ausgeliehen. Die Ausstellung, die dann nach Hamburg weitergeht (16. Mai bis 3. August), wird wohl auf lange Zeit die einzige in Europa bleiben, denn die Sensibilität der Bilder und die rasante Preis-Entwicklung auf dem Kunstmarkt setzen hier entschiedene Grenzen.

Der Katalog zur Retrospektive enthält Beiträge von Oliver Wick, des Kurators des Projektes, über „Mark Rothko und die Sehnsucht nach Tradition“, von Hubertus Gaßner über die Beziehung Rothkos zu Pierre Bonnard, von Gottfried Böhm über „Rothkos Zugänge zum Bild“, von Christiane Lange und Karin Koschkar über die Rothko-Rezeption in Deutschland, zudem Notizen des Künstlers über den Auftrag für die Seagram-Wandbilder in New York, eine Rothko-Biografie und -Bibliographie und natürlich die – zum größten Teil ganzseitigen – Abbildungen der ausgestellten Werke in hervorragender Farbqualität.

Als Mark Rothkowitz wurde er 1903 in Dvinsk, Russland, geboren. 1913 wanderte er mit seiner Mutter und seiner Schwester in die USA aus, wo sich der Rest seiner Familie schon in Portland, Oregon, niedergelassen hatte. Nach Studien in Yale und an der New School of Design in New York begann er mit Porträts und Figurenbildern in surrealer Verfremdung. Jede spezifische Örtlichkeit und jedes Leben ist aus seinen Brooklyner U-Bahn-Szenen (um 1935-40) geschwunden, in denen bedrohlich leere Flächen und Säulen einen vormals sozialen Raum zerstören. Schon diese frühen Arbeiten erweisen, dass das Figurale für Rothko mehr eine Art heraufzubeschwörende Erscheinung als eine zu beschreibende Wirklichkeit war.

Bereits in den vierziger Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, versuchte Rothko mit einer Gruppe New Yorker Künstler, die man später etwas verallgemeinernd als „Abstrakte Expressionisten“ bezeichnete, die Themen nicht aus den Alltagsereignissen zu nehmen und nicht aus der historischen Zeit, sondern aus einer prähistorischen Welt elementarer Naturereignisse. Man wollte wohl das bedrückende Gefühl von Entfremdung und Überflüssigkeit der Künstler im damaligen Amerika los werden, glaubte aber auch fest an die Wirkung der Bilder und Symbole, an deren beschwörende, magische Kraft. Die Kunst wollte das „kollektive Unbewusste“ des Schweizer Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung erschließen, das Unbewusste sollte in die Arbeit mit eingebracht werden. Willem de Koonings Interesse an Idolen und Orakeln, Jackson Pollocks Wölfinnen und Hütergestalten, Rothkos Totems, Adolph Gottliebs Piktogramme gehörten zu diesem dem Primitivismus huldigenden Trend im frühen Abstrakten Expressionismus.

In Rothkos Arbeit vereinte sich die Suche nach einer archetypischen Bilderwelt mit einem starken Gefühl für bühnenhafte Wirkungen. Biomorphe Phantasiegestalten beschwören nicht nur die Schöpfungsgeschichte und die griechische Mythologie, sondern auch das mikroskopische Abenteuer der Zellteilung. Der Betrachter fühlt sich zu den Ursprüngen des Lebens zurückversetzt. Doch in den späten vierziger Jahren sind dann auch diese letzten Hinweise auf Biologie oder Natur in Flecken glühenden Lichts aufgelöst, die den Betrachter zu einer noch ursprünglicheren Vorstellung von den Anfängen der Welt zurückführen. Um 1950 waren dann auch diese Unregelmäßigkeiten eingeebnet. Schwebende farbige Rechtecke mit unscharfen Kanten und pulsierender Oberfläche wurden – wie schon in „Nr. 20“ (1949) – neben- und übereinander geschichtet. Sie sollten zu feierlichen und erhabenen Wirkungen führen. Rothko stellte metaphysische Ansprüche an die Kunst. Und dennoch atmen seine leuchtenden Farbflächen durch Expansion und Kontraktion im Raum, so dass der Betrachter sich seines eigenen inneren Raumgefühls bewusst wird.

Oft lassen die Teilungen und Intervalle an einen Horizont oder eine Wolkenbank denken und ordnen so das Bild indirekt der Landschaftsmalerei zu. Diese Bildkomposition ermöglichte es ihm, fast alles, bis auf die räumlichen Andeutungen und emotionalen Kräfte der Farben und die lebendige Intensität der Oberflächen, aus seinen Bildern zu eliminieren. Sie entstanden aus einer sehr konzentrierten Malweise: Rothko färbte die Leinwand ein wie Aquarellpapier und lasierte dann in mehreren Farbschichten übereinander, so „Weiß und Ziegelrot auf hellem Rot (Weiß, Rosa und Gelb)“ (1954), „Nr. 203 (Rot, Orange, Beige und Violett)“ (1954), „Erde und Grün“ (1955), „Gelb und Blau (Gelb, Blau und Orange)“ (1955), „Helles Rot auf Schwarz“ (1957). Der Betrachter meint in tiefes Wasser oder in Nebel hineinzuschauen, der von innen erleuchtet ist. Rothko war geradezu vom Licht besessen, Licht, das von unbeweglichen Symbolen ausgestrahlt wird, die wiederum auf einer vollkommen frontalen Bildfläche angeordnet sind. Er folgte damit genau den Techniken der amerikanischen Luminaristen, den Meistern in der Darstellung von Lichteffekten, die die Szene in einem Schwebezustand hielten – es fehlt nur die Landschaft selbst.

Völlig neue Dimensionen gab Rothko dann seinen Wandmalereien für das Seagram Building in New York (1958) und für die Harvard University in Cambridge (1961). Er hatte zunächst horizontale Tafeln geschaffen, die die typischen waagerechten Farbstreifen aufwiesen. Dann aber drehte er die Bilder auf die Seite und so wurden auf einem Bild wie „Rot, Braun und Schwarz“ (1958) die braunen und schwarzen Rechtecke zu vertikalen Säulen, während der rote Bereich zurücktrat, als ob er eine Öffnung darstellte. Immer noch herrschen rechteckige Formen vor, aber unter dieser neuen Voraussetzung glaubt man jetzt Fenster, Türen und Portale mit einfacher, klassischer Architektur zu erkennen. Ein anderes Bild für das Seagram-Projekt, „Rot auf Kastanienbraun“, zeigt eine weinrote, türähnliche Form, die an ein monumentales Portal erinnert.

Man möchte durch dieses Portal hineintreten, in das rauchige Braunrot eintauchen, aber bei näherem Hinsehen erkennt man, dass dieses rauchige, leere Innere fest und undurchsichtig wie eine Wand ist. Das Bild erzeugt ein Gefühl böser Vorahnungen, eine Spannung zwischen einem monumentalen Gebilde, das etwas einschließt, und einer fließenden Bewegung, die dieses Gebilde nicht halten kann. Beim Harvard-Projekt dagegen fand Rothko die Lösung bereits in den Skizzen, in denen er zwei oder drei vertikale, im oberen und unteren Teil befindliche Rechtecke mit dünnen, horizontalen Linien verband, die in ihrer Mitte schmale Vierecke (oder Ausbuchtungen) aufwiesen. Mit den klassischen architektonischen Formen, die Rothko für Harvard entwickelte, schuf er geöffnete Räume von variierender Breite, die in das Bild hineindrängen oder sich ausdehnen, beengen oder befreien.

Die letzte Gemäldeserie, die Black on Gray Paintings, aus dem Jahre 1969 lassen wiederum neue Ansätze erkennen: graue und schwarze Felder durch starre helle Grenzen voneinander getrennt. Aber als sein eigentliches Vermächtnis hat wohl der Bilderzyklus zu gelten, der als Anregung zur Kontemplation in einer nichtkonfessionellen Kapelle in Houston, Texas (1964) dienen sollte. Die riesigen dunklen Bilder mit ihrem fast monochromen Schwarz, ihrem matten Pflaumenrot und dem finsteren Violett sind durch Rothkos Selbstmord 1970 zu Gedenksteinen, zu Grabstelen geworden. Hier hatte er ganz auf die zarten Begrenzungen und auf die verführerische Wirkung seiner Farben verzichtet und autonome, klar begrenzte Rechtecke gemalt. Ohne Thema, ohne innere Bezüge verkörpern sie ein erstaunliches Maß an Selbstaufgabe. Die Welt ist entschwunden und hat nichts als Leere zurückgelassen. Die Rothko-Kapelle, die ein Jahr nach seinem Tode eingeweiht wurde, kann man wirklich als das letzte Schweigen der Romantik bezeichnen.

Die Ausstellung in der Kunsthalle München der Hypo-Kulturstiftung (8. Februar bis 27. April 2008) begleitet ein umfangreiches Programm mit Filmen, Vorträgen, Kuratorenführungen, einer szenischen Lesung vor den Originalen und einem Kammerkonzert der Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Nach der Präsentation in München ist die Retrospektive vom 16. Mai bis 3. August 2008 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.

Literaturangaben:
GASSNER, HUBERTUS / LANGE, CHRISTIANE / WICK, OLIVER (Hrsg.): Mark Rothko. Retrospektive. Mit Beiträgen von Gottfried Böhm, Hubertus Gaßner, Karin Koschkar, Christiane Lange, Renée Maurer, Jessica Stewart und Oliver Wick. Hirmer Verlag, München 2008. 220 S., 88 Tafeln in Farbe und 16 in schwarz-weiß, 35 Abbildungen in Farbe und 28 in schwarz-weiß, 39,90 €.

Verlag

Klaus Hammer, Literatur- und Kunstwissenschaftler, schreibt als freier Buchkritiker für dieses Literaturmagazin. Er ist als Gastprofessor in Polen tätig


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