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Seine schönsten Misserfolge

Die heilende Wirkung von Flops

© Die Berliner Literaturkritik, 22.12.10

BERLIN (BLK) – Das Buch „Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Ma“azin" von Hans Magnus Enzensberger ist im Dezember 2010 im Suhrkamp Verlag Berlin erschienen.

Klappentext: „Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende.“ (Hans Magnus Enzensberger). In diesem Schwarzbuch nimmt Enzensberger ein Thema ins Visier, das viele Künstlerkollegen scheuen, den Mißerfolg: „Wenigen Erfahrungen verdanke ich so viel; ich behaupte sogar, daß mir meine Flops im Lauf der Zeit geradezu ans Herz gewachsen sind. Sie gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen des Kulturbetriebs und helfen dem Ahnungslosen, die Fallstricke, Minenfelder und Selbstschußanlagen einzuschätzen, mit denen er auf diesem Terrain zu rechnen hat.“. Das demonstriert der Autor anhand von Geschichten und Einfällen, Exposés, Treatments, Szenen und Projekten aus fünfzig Jahren. Vieles von dem, was auf dem Weg zur Kinoleinwand, zur Theater-, Opern- und Operettenbühne, zum Magazin oder zur verlegerischen Unternehmung verworfen wurde oder versandet ist, sei’s zu Recht oder zu Unrecht, passiert in diesem schwarzen Buch Revue. Wer oder was war schuld an den kleinen und großen Niederlagen? Lag es am Geld, an der Justiz oder am eigenen Übermut? Aber das ist für Enzensberger nicht der springende Punkt. Jammern, sagt er, sei ungesund. Er amüsiert sich lieber und überläßt dem Publikum zu guter Letzt noch Ideen, aus denen sich jeder gratis und portofrei bedienen kann.

Hans Magnus Enzensberger wurde am 11. November 1929 in Kaufbeuren im bayerischen Allgäu geboren und verbrachte seine Kindheit in Nürnberg. Von 1949 bis 1954 studierte er Literaturwissenschaft, Sprachen und Philosophie in Erlangen, Freiburg im Breisgau, Hamburg und Paris und wurde anschließend promoviert. Heute lebt Enzensberger in München.

Leseprobe:

 ©Suhrkamp Verlag©

Prämisse

Flop ist ein ziemlich neues und durchaus erfreuliches Fremdwort, schon wegen der lautmalerischen Qualität, die das Oxford English Dictionary ihm zuschreibt; auch der Duden würdigt es gebührend; er übersetzt dasVerbum mit „hinplumpsen“ und das Substantiv mit a) „Mißerfolg“ und b) mit „Niete“. Unentbehrlich ist der Begriff besonders im show business, aber auch auf anderen Märkten tut er gute Dienste.

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Meist folgt dem dumpfen Geräusch, das ein Flop verursacht, ein vernehmliches, lang anhaltendes Stillschweigen. Liebe Schwestern und Brüder in Apoll, ihr mögt dichten, spielen, malen, filmen, singen, meißeln oder komponieren – warum erzählt ihr so ungern von euern kleinen oder großen Debakeln? Geniert ihr euch? Plagt euch die Sorge, ihr könntet euch blamieren? Aber in diesem Punkt möchte ich euch beruhigen. Aus allem, was ihr mir unter der Hand anvertraut habt, schließe ich, daß ich nicht der einzige bin, der auf interessante Flops zurückblicken kann. Sonst würde ich mir nicht die Mühe machen, sie vor euch auszubreiten.Warum tut ihr nicht desgleichen? Ihr würdet merken, daß eine solche Übung nicht nur lehrreich und erfrischend, sondern auch amüsant sein kann.

Denn jeder Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung inne, und während der Arbeiter im Weinberg der Kultur seine Erfolge rasch zu vergessen pflegt, hält sich die Erinnerung an einen Flop jahre-, wenn nicht jahrzehntelang mit geradezu blendender Intensität. Triumphe halten keine Lehren bereit, Mißerfolge dagegen befördern die Erkenntnis auf mannigfaltige Art. Sie gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen der relevanten Industrien und helfen dem Ahnungslosen, die Fallstricke, Minenfelder und Selbstschußanlagen einzuschätzen, mit denen er auf diesem Terrain zu rechnen hat. Außerdem entfalten Flops eine therapeutischeWirkung: Sie können berufsbedingte Autorenkrankheiten wie Kontrollverlust oder Größenwahn wenn nicht heilen, so doch mildern.

Ich für meinen Teil gestehe, daß ich wenigen Erfahrungen so viel verdanke wie meinen Flops; ich behaupte sogar, daß siemir im Lauf der Zeit immer mehr ans Herz gewachsen sind.

Deshalb möchte ich euch eine Revue von gescheiterten Projekten vorstellen, mit denen ich mich mehr oder weniger intensiv beschäftigt habe. Zwar fehlt es bisher an einer wissenschaftlichen Erforschung der Gründe, die zu einem Flop führen, und an einer brauchbaren Klassifikation, die Fallhöhe, Masse, Sichtbarkeit und Beobachterposition berücksichtigen müßte. Ihr vorzugreifen liegt mir fern. Auch kann die folgende kleine Sammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ein komplettes Musterbuch liefe nämlich Gefahr, schon durch seine Reichhaltigkeit zu ermüden. Außerdem habe ich wahrscheinlich eine Reihe anderer Projekte schlicht und einfach vergessen.

Hie und da werde ich meinen Bericht durch allerhand Textproben ergänzen. Wen diese Unterbrechungen stören, der sei eingeladen, sie einfach zu überblättern. Das sollte nicht schwerfallen, denn diese Passagen sind typographisch deutlich markiert. Mögen sie der Kritik mißfallen, andern hingegen zur Unterhaltung dienen.

 

Die bei weitem besten Flops hat bekanntlich die Bühne zu bieten. Während ein Buch, auch im ungünstigsten Fall, mit  einer Lebenserwartung von Wochen oder Monaten rechnen kann, bis das Desinteresse des Publikums und der Kritik sich mit hinreichender Deutlichkeit gezeigt hat, so daß es nach einer Reihe von Verrissen sang- und klanglos dem Vergessen anheimfällt, rasselt eine gescheiterte Inszenierung mit einer Plötzlichkeit durch, die an die Arbeitsweise einer gut geölten Guillotine erinnert; man glaubt geradezu, das dumpfe Geräusch zu hören, mit dem das Fallbeil sein Werk verrichtet. Deshalb sind  mir meine Theaterflops die unvergesslichsten und die liebsten.

Autoren, die ungern an ihre kleinen oder großen Niederlagen zurückdenken, kann ich verstehen; denn daß es ungerecht zugeht auf den Schauplätzen der Künste, ist nichts Neues. Selbst der blutigste Anfänger ahnt, daß dort seit eh und je gelogen, intrigiert und getrickst wird, was das Zeug hält. Das ist die Geschäftsgrundlage des Betriebs. Darüber die ebenso üblichen Klagegesänge anzustimmen verrät zwar ein zartes Gemüt, verspricht aber keine weiterführenden Aufschlüsse. Statt sich mit solchen Beschwerden aufzuhalten, ist es sinnvoller, die nächste Karte aus dem Ärmel zu ziehen und, wie es in einem Pop-Song aus dem Jahre 1793 heißt, weiterzumachen, „weil noch das Lämplein glüht“. Das sollte nicht allzu schwerfallen.

 ©Suhrkamp Verlag©

Literaturangabe:

ENZENSBERGER, HANS MAGNUS: Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 241 S., 19,90 €.

Weblink:

Suhrkamp Verlag


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