HAMBURG (BLK) – Den Roman „Blutsonntag“ von Robert Brack hat der Verlag Edition Nautilus im Juni 2010 veröffentlicht.
Klappentext: Die Kommunistin Klara Schindler, selbstbewusste Reporterin der Hamburger Volkszeitung, hat mit einer neuen technischen Errungenschaft der Sowjetunion, einem Magnetophon, Zeugen über die Geschehnisse des sogenannten Altonaer Blutsonntags am 17. Juli 1932 befragt. Sie will die Aussagen möglichst genau dokumentieren, um damit die Lügen der Hamburger Polizei, der preußischen Behörden und der Presse über die Straßenkämpfe zwischen SA und Kommunisten aufzudecken. Sie findet heraus, dass die Opfer allesamt von einem Kommando der Hamburger Polizei unter dem Befehl von Oberleutnant Kosa erschossen wurden. Da niemand etwas gegen die deutlich sichtbaren Putsch-Aktivitäten der Nazis tut und die Mörder vom Staat geschützt werden, entschließt Klara sich zur Selbstjustiz ...
Robert Brack wurde1959 geboren. Nach einem Soziologie-Studium begann er, als freier Autor zu arbeiten. Als Virginia Doyle ist er bekannt für seine historischen Kriminalromane. Er wurde mit dem „Marlowe“ der Raymond-Chandler-Gesellschaft für „Das Mädchen mit der Taschenlampe“ und mit dem „Deutschen Krimi-Preis“ für „Das Gangsterbüro“ ausgezeichnet (beide Edition Nautilus). Zuletzt erschien in der Edition Nautilus „Und das Meer gab seine Toten wieder“ (2008). Brack übersetzt auch gelegentlich Kriminalromane und Erzählungen aus dem Englischen/Amerikanischen (u. a. Janwillem van de Wetering, Robert B. Parker und Jerry Oster), zuletzt 2009 „Der Effekt“ („Without Warning“) von John Birmingham. Der Autor lebt in Hamburg.
Leseprobe:
©Edition Nautilus©
Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten. Vorsätzlich, aber nicht aus niederen Beweggründen, es ist meine Pflicht … Geht das so? … Wenn ich jetzt zurückspule, kann ich mich dann hören?
Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten…
Tatsächlich … aber es klingt eigenartig. Ist das wirklich meine Stimme?
Tatsächlich … aber es klingt eigenartig. Ist das wirklich meine Stimme?
Stopp! Ich fange noch mal von vorne an.
Mein Name ist Klara Schindler, ich werde einen Menschen töten, vorsätzlich, aber nicht aus niederen Beweggründen. Ich habe sehr genau darüber nachgedacht. Ich weiß, dass ich es nicht tun darf … ich weiß, dass ich es tun muss. Es herrscht Krieg in unserem Land, der Krieg der Klassen. Oder, anders ausgedrückt: Bürgerkrieg. Ich nehme teil an diesem Krieg. Wir alle nehmen teil, wir sind gezwungen, wir gehören dazu, es ist unser Kampf…
Was rede ich da? Stimmt das denn? Es ist doch … mein Kampf, und ich stehe allein. Im Krieg gibt es eine Armee, Kommandanten, Soldaten bekommen Befehle und führen sie aus. Ich habe keinen Befehl bekommen für das, was ich tun werde.
Es ist falsch, jemanden eigenmächtig zu töten. Aber noch falscher ist es, einen Verbrecher ziehen zu lassen. Wie viele wird er noch umbringen? Seine Opfer sind die, die zu mir gehören. Ich darf sie nicht ungesühnt lassen.
Was ich mir anmaße? Ich bin keine Richterin, ich bin nur Mensch … ist das nicht genug?
Er hat keine Richter, im Gegenteil. Die ihn anklagen und verurteilen sollten, stehen auf seiner Seite. Haben sie ihn nicht eigentlich sogar geschickt…
„Nicht eigentlich sogar“? Was sprichst du für ein schauderhaftes Deutsch, Klara? Das muss weggelöscht werden … egal, es wird ohnehin alles abgeschrieben, oder?
Ich spiele mich nicht als Richterin auf, sondern urteile als Mensch. Es geht darum, Schlimmeres zu verhüten. Jeden Tag kann er aufs Neue losgehen und ungestraft Unschuldige erschießen … ein Bluthund, auf Frauen, Männer und Kinder gehetzt von den Kräften der Reaktion…
Nein, so wollte ich nicht reden, ich wollte eigene Worte finden … aber »Bluthund« passt … Wie soll ich ihn sonst nennen: „den Leutnant“?…Das ist das Gleiche, sieh sie dir doch an, die Leutnants und Hauptmänner und Feldwebel … in ihren Gesichtern kannst du den abgerichteten Hund erkennen … Klara, du schweifst ab, du wirst das alles weglöschen und noch einmal von vorn beginnen!
Klarheit und Wahrheit, das war einmal deine Devise … was ist davon geblieben?
Weglöschen.
Nur dies noch, eine Erklärung: Ich stehe ein für meine Tat. Im Gegensatz zu vielen von euch werde ich keine Ausflüchte suchen und keine Schuld abwälzen, die Schuld niemandem aufladen, es ist allein meine Entscheidung. Ich werde noch darüber reden müssen, wie sie zustande kam, aber ja, es…
Was nun? Ich werde es erst einmal nicht löschen, auch wenn es als Erklärung wenig taugt. Später … vielleicht … einstweilen … ein Durcheinander … Es ist nur ein Anfang … Ehrlich gesagt, Klara, sind es nur Worte. Und Worte taugen nichts mehr in dieser Welt, haben eigentlich nie etwas getaugt.
Am Anfang war die Tat, sonst wäre gar nichts…
Rote Flecken, schwarze Schlieren, ein Durchschlag, der leider wirklich durchgeschlagen war und Löcher in den dünnen Blättern hinterließ. Miserables Papier, das die Partei aus der Sowjetunion importiert hatte.
Was waren sie stolz gewesen, als sie eine Brigade in den Hafen zum russischen Frachter „Iskra“ schicken konnten, um die Papierballen für die Rotationsmaschinen der »Graphischen Industrie« zu entladen. Freiwillige Sonntagsarbeit. Leider bestand die Hälfte des Papiers aus schlecht gelagerten Schreibmaschinenbögen, die, wenn man den vergilbten Zetteln auf den Kisten Glauben schenken durfte, noch zur Zeit des Zaren aus Schweden nach Petrograd geliefert worden waren. Von dort hatten sie den Weg in den Laderaum der „Iskra“ und in die Druckerei am Valentinskamp gefunden, wo man mit den vielen, nicht angekündigten Packen Schreibmaschinenbögen nichts anfangen konnte. Also wurden sie in die Redaktion der Hamburger Volkszeitung geschafft und stapelten sich nun in einem Kabuff am Ende des Flurs bis unter die Decke.
Das Papier war leicht vergilbt und brüchig. Klara hatte sich darüber beschwert. Das war nicht gut angekommen. Ihr Redakteur verbot ihr, die Qualität des Produkts aus dem Arbeiterstaat anzuzweifeln. Sie sei selbst schuld, witzelte er, ohne auch nur im Entferntesten zu lächeln: Eine Schreibmaschine mit dem Namen „Torpedo“ sei nun mal eine durchschlagende Waffe.
Die anderen hatten gelacht. Dieselben Männer, die sich jetzt erhoben wie auf ein Kommando, was erstaunlich war, denn niemand hatte ein Wort gesprochen. Oder hatte sie es nur nicht mitbekommen? Klara schaute von ihren mit schwarzer und roter Tinte verschmierten Händen auf. Das Farbband klemmte. Redakteure und Volontäre griffen nach den Jacken. Der eine oder andere zog ein Eisenrohr aus einer Schublade und steckte es sich in den Ärmel.
„Was ist los?“
Sie waren schon auf dem Weg zur Tür. Klara hielt Alfred, den schlaksigen Redaktionsnovizen, am Ärmel fest: „Wo wollt ihr denn hin?“
„Weißt du’s nicht?“, fragte er verlegen und schaute den anderen hinterher, die aus der Tür drängten. „Wir sollen mit den Druckern und den Auslieferern zur ›Kugel‹.“
„Wird was gefeiert?“
„Nazi-Versammlung.“
„In der ›Kugel‹? Das ist doch unser Lokal.“
„Eben. Fietje ist raus, heißt es, und der neue Besitzer ist Nazi. Deshalb.“ Alfred riss sich los. „Kaufmann spricht dort in der Diele.“
„Aha.“ Die Diele war der Festsaal des Bierlokals „Zur Kugel“. Über tausend Personen passten hinein. Wenn der NSGauleiter auftrat, würden viele kommen. Das Lokal lag bei Kugels Ort an der Wexstraße und damit strategisch günstig für Ausfälle ins Gängeviertel. Wenn sich die Nazis dort festsetzten, war das eine Provokation, denn in dieser Gegend hatte die Kommune das Sagen, und das sollte auch so bleiben.
Klara ließ das Farbband fallen und sprang auf. „Ich komm mit“, sagte sie, mehr zu sich selbst, denn die anderen trampelten schon durchs Treppenhaus. Sie schlüpfte in ihr Jackett, setzte die Schiebermütze auf die wirren dunklen Locken und rannte hinterher.
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Literaturangabe:
BRACK, ROBERT: Blutsonntag. Edition Nautilus Verlag, Hamburg 2010. 256 S., 13,90 €.
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