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Serge Gainsbourgs einziger Roman

Das weitgehend unbekannte Buch des Chansonniers ist wieder aufgelegt worden

© Die Berliner Literaturkritik, 27.05.10

Von Kristoffer Cornils

Der Franzose Serge Gainsbourg bleibt den Menschen weniger als Sänger, Schauspieler, Drehbuchautor oder Regisseur in Erinnerung, sondern vor allem als hedonistischer Lebemann. Denn am ehesten war er wegen zahlreicher Skandale und Eskapaden bekannt. Whitney Houston sagte er sturzbetrunken in einer Livesendung, er wolle Sex mit ihr haben. Er wollte die französische Nationalhymne als Reggae vertonen, und Schilderungen seines Privatlebens lesen sich wie ein Bukowski-Roman. Neben seinen zahlreichen und zumeist sehr erfolgreichen Platten und Filmen brachte er 1980 auch einen unbeachtet gebliebenen Roman heraus, „Das heroische Leben des Evgenij Sokolov“.

Das Buch handelt von einem genialen und äußerst hedonistischen Künstler mit chronischen Blähungen, die ihn schlussendlich das Leben kosten sollen. Eigentlich erwartet man nichts anderes von dem Franzosen, der viel zu gerne trank, polarisierte und alles daran setzte, möglichst wenig öffentlichkeitskonform zu sein. In seinem Buch spiegelt sich genau das wider, wofür Gainsbourg in erster Linie berühmt und berüchtigt war. Sein Roman jedoch ist nicht nur vollkommen absurd und hirnrissig, nein, er ist dabei tatsächlich grandios umgesetzt und nicht zuletzt zwerchfellerschütternd komisch. Der Verlag Blumenbar bringt nun die (unter anderen Titeln) bereits im Popa-Verlag und Goldmann-Verlag erschienene Geschichte des Künstlers und Flatulenzopfers Sokolov heraus.

Sokolov liegt im Sterben und beginnt sich zu erinnern: „Während ich in einem Krankenhausbett liege und über mir, von meinen Exkrementen angelockt, Schmeißfliegen kreisen, kommen mir Bilder aus meinem Leben in den Sinn… Aneinandergereiht würden sie einen ebenso grotesken wie ekelerregenden Film ergeben“. Gainsbourg führt in seinem einzigen Werk den Künstlerroman vollkommen ad absurdum. Parallel zu seinem pathologischen Leiden an schier übermenschlichen Blähungen und zu seiner daraus resultierenden zunehmenden sozialen Isolation und seinen sonstigen Krisen entwickelt sich der Protagonist Evgenij Sokolov immer mehr zum radikalen Künstler, der Sperma und andere Körperflüssigkeiten für seine Bilder benutzt und das Zittern seiner Hand während seiner mehr als zahlreichen Flatulenzen festhält. Was ihn sozial stigmatisiert, beschert ihm dabei einen unglaublichen Erfolg.

Sokolov tritt seinen Siegeszug an als eine Art skatologischer Jackson Pollock, der sich im Privatleben in sexuelle Abenteuer mit Frauen, Männern und sogar Minderjährigen hinreißen lässt. Sein einziger Freund ist sein Hund, den er in der Öffentlichkeit für seine eigenen Blähungen verantwortlich macht. Sokolov, stets krisengeschüttelt aber gut rezipiert, macht aus seiner absonderlichen Krankheit ein Erfolgsgeheimnis. Selten ist so viel krankhafte und absurde Fantasie auf so wenigen Seiten konzentriert gewesen, selten wird man als Leser mit einer solchen Tragikomik konfrontiert, die einen hysterisch auflachen lässt, und das immer wieder.

Stilistisch überrascht der Roman nicht nur durch seine einerseits brachiale, andererseits aber doch recht feinsinnige Ironie. Gainsbourg arbeitet auch mit einem großen Register an verschiedenen Vokabularien, die man ihm – bei allem Respekt – gar nicht zugetraut hat. Der Franzose hat nicht nur seine Hausaufgaben zur Kunstgeschichte und proktologischen Medizin recht ordentlich gemacht. Er zeigt auch, dass er durchaus den zwischen Fäkalhumor und feinem Rhythmusgefühl oszillierenden Sprachduktus eines Villon ins 20. Jahrhundert überführen kann. Trotz seiner plump anmutenden Thematik ist die Sprache voller subtiler Spitzen, nicht übertrieben direkt, sondern sehr feinsinnig konzipiert und hier und dort an den richtigen Stellen sogar etwas ironisch-schnörkelig. Von dem so entstehenden Bilderfluss, den der Übersetzer Helmut Zahn meisterhaft ins Deutsche übertragen hat, lässt man sich mitreißen in eine der bizarrsten fiktiven Biographien der Literaturgeschichte. So absurd die Geschichte Sokolovs auch ist, so glaubwürdig weiß Gainsbourg einen Charakter zu schaffen, der sich am Ende seines Daseins zurückerinnert an ein Leben voller Kunst, Sex und Blähungen. Der Roman verdient seine Daseinsberechtigung allein schon durch seine stilistische Qualität.

In gewisser Weise ist „Das heroische Leben des Evgenij Sokolov“ die Autobiographie Gainsbourgs. Wie Sokolov war Gainsbourg früher tatsächlich Maler, der sich gegen alles Konventionelle und Dahergebrachte wendete, weil er das „widerwärtige Grinsen“ der Mona Lisa satt hatte. Und wie für Sokolov war ihm sein größtes Kapital gleichzeitig ein nie endender Fluch. Gainsbourgs nonkonformistischer Lebensstil mit den vielen sexuellen Eskapaden und alkoholischen Exzessen kostete ihn nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern irgendwann auch das Leben. „Während der folgenden Tage führten die Kritiker Worte im Munde wie: Hyperabstraktion, stilistische Strenge, formaler Mystizismus, mathematische Präzision, philosophische Spannung, seltsam-schöne Eurhythmie, hypothetisch-deduktive Lyrismen. Andere hingegen sprachen von Schwindel, Bluff und Kacke.“ – das sind Worte, wie sie auf die Beiden zutreffen, wenn nicht sogar auf alle Künstler, die sich nicht zurückhalten mit ihren Werken und so gleichermaßen polarisieren und Kontroversen schüren. Gainsbourgs Roman funktioniert als eine unaufdringliche Parabel über Fluch und Segen des Genies, die zwar leider sehr knapp, aber mehr als eindrucksvoll umgesetzt wurde.

Auf die Frage hin, ob er mit der Sängerin Jane Birkin während der Aufnahmen zu „Je t’aime… Moi non plus“ wirklich Sex im Tonstudio hatte, antwortete Gainsbourg, dass aus dem Song dann sicherlich ein ganzes Album geworden wäre. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Roman: Die gerade mal 80 Seiten lassen einen doch etwas unbefriedigt – gerade, weil sie dermaßen angefüllt sind mit Irrsinn, Humor und Genialität, von dem man sich noch mehr wünscht.

Literaturangabe:

GAINSBOURG, SERGE: Das heroische Leben des Evgenij Sokolov. Aus dem Französischen von Hartmut Zahn. Blumenbar Verlag, Berlin 2010. 80 S., 12,90 €.

Weblink:

Blumenbar Verlag


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