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Sibylle Lewitscharoff über Vater- und Landeshass

Der neue Roman „Apostoloff“

© Die Berliner Literaturkritik, 26.02.09

 

Von Wolfgang Harms

FRANKFURT / MAIN (BLK) – Als Film wäre Sibylle Lewitscharoffs neuer Roman „Apostoloff“ ein klassisches Road Movie: Zwei Schwestern und ein Mann auf einer Autotour, die mehr innere Suche als touristische Erkundung ist. Im Gegensatz zu den Genre-Konventionen führt die Route aber nicht durch die Weite des amerikanischen Westens, sondern durch die Tristesse des osteuropäischen Transformationslandes Bulgarien. Dessen freudlose Landschaften und heruntergekommenen Städte liefern dem Seelenleben allerdings mindestens ebenso gute Projektionsflächen.

Jedenfalls für die Ich-Erzählerin, die – das hat sie mit der Autorin gemeinsam – in Stuttgart aufgewachsene Tochter einer Schwäbin und eines Bulgaren ist. Dass er sich früh das Leben genommen hat, würde manch andere junge Frau in Depression und Hader stürzen; doch Melancholie gehört nicht zum Reisegepäck: „Ein Vater, der ein Ende macht, bevor er die ganze Familie zermürbt, ist eher zu loben als zu verdammen“, sagt die Erzählerin schon auf der ersten Seite zur älteren Schwester. Und das ist noch so ziemlich der freundlichste Satz, den sie für „das Aas von einem Vater“ übrig hat.

Dessen Heimatland und Landsleute nimmt sie kurzerhand in Sippenhaft. Von ihrem Platz auf der Rückbank aus sieht sie hinter den Seitenscheiben kaum etwas anderes als Hässlichkeit und Schäbigkeit: „Vaterhass und Landhass sind verquickt“, notiert sie voller Einsicht in die eigene Voreingenommenheit. Keine Chance für Rumen Apostoloff, der am Steuer sitzt und den Gästen aus Deutschland die Schönheiten Bulgariens nahebringen will. Sein vergebliches Mühen macht ihn immerhin zum Titelpaten des Romans, und auf den Vordersitzen keimt bald eine Romanze mit der Schwester der Erzählerin.

In deren gallige Beobachtungen mischen sich Kindheitserinnerungen an Stuttgart, an den in Schwermut versunkenen Vater, die strenge Mutter und den Kreis der Exil-Bulgaren mit ihren deutschen Ehefrauen. Mit ihren Familienverhältnissen legt die Erzählerin Stück für Stück die Wurzeln ihrer Gefühlslage frei. Manchmal hat sie Visionen, in denen ihr der Vater erscheint – dies sind die Stellen, an denen sich Lewitscharoff um stilistische Originalität bemüht. Ansonsten bleibt ihre Sprache meist flach und uninspiriert. Selten sublimiert die Aversion zu raffinierter Bosheit.

Seine satirische Spannung entwickelt „Apostoloff “erst im Vergleich mit dem, was ein anderer Autor vielleicht aus dem Stoff gemacht hätte: Ein Familienerinnerungsbuch jener zerquälten Sorte, in denen groß gewordene Kinder bejammern, dass sie nicht aus dem überlangen Schatten ihrer Eltern treten können. Lewitscharoffs Hauptfigur zeigt dagegen, dass Väter und Mütter kein unentrinnbares Schicksal sind – das Mittel der Wahl gegen die Spätfolgen heikler häuslicher Konstellationen ist eine gesunde Kratzbürstigkeit: „Nicht die Liebe vermag die Toten in Schach zu halten, denke ich, nur ein gutmütig gepflegter Hass“, lautet der letzte Satz.

Literaturangaben:
LEWITSCHAROFF, SIBYLLE: Apostoloff. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2009. 245 S., 19,80 €.

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