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Signale mit geringer Informationsdichte – Joe Kleins „Vom Ende der Politik“

Klein entfaltet seine Kritik am Beispiel der amerikanischen Wahlkämpfe jüngerer Zeit

© Die Berliner Literaturkritik, 23.07.08

 

Zu Zeiten eines unausgesetzten Nachlassens politischer Teilhabe, in demokratisch geführten Ländern westlicher Prägung periodisch, anhand immer geringer werdender Wahlbeteiligung, beobachtbar, wird öffentliches Interesse an Politikern durch mediale Zuwendung generiert. Wahlentscheidungen werden von der Fähigkeit der Kandidaten zur Selbstdarstellung bestimmt, während Inhalte als dekoratives Beiwerk und visionäre Ideen gar als karrieregefährdender Luxus erscheinen.

Es ist kaum verwunderlich, dass eine ambitionierte Darstellung dieser Tendenzen amerikanische Verhältnisse beschreibt, denn schließlich gehört im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein medial aufgepeppter, stromlinienförmiger Wahlkampf seit langem zum Standardrepertoire eines jeden ambitionierten Bewerbers auf ein hohes politisches Amt. In Amerika entstand, irrwitzig genug, auf dem Reißbrett „Senator Smith“, der ideale Kandidat.

„Vom Ende der Demokratie“ ist der dramatische deutsche Titel einer bereits 2006 in den Vereinigten Staaten erschienenen Streitschrift des einflussreichen Kolumnisten Joe Klein, der die politischen Entwicklungen seines Heimatlandes, über annähernd vier Jahrzehnte, als aufmerksamer Beobachter begleitet hat und Erfahrungen sammeln konnte, die gleichwohl auch Europäern nicht fremd sein dürften.

In politischer Rede immer wiederkehrende Begriffe sind de facto auf beiden Seiten des Atlantiks „… rhetorische Schlummertasten: eindeutige Signale, dass der redende Politiker absolut nichts Interessantes zu sagen hat“. Wodurch aber wurde der politische Diskurs so banal, inhaltsleer und unverbindlich und wann begann der schleichende Gewöhnungsprozess an all die austauschbaren Äußerungen, die vor allem eines, nämlich keine Angriffsfläche, bieten sollen? Warum antworten Politiker nie direkt auf eine Frage und warum bevorzugen sie Signale mit geringer Informationsdichte?

Kleins Kritik beruht größtenteils auf Erinnerungen, seine Quellen sind Gespräche und Interviews. Da sich der Autor insbesondere auf seine Erfahrungen im Präsidentschaftswahlkampf beschränkt, sind viele der thematisierten Personen hinreichend bekannt. Der Erklärungsansatz ist historisch angelegt. Er folgt dem rasanten Aufstieg des Wahlkampf-Managements, das seit den späten 60er Jahren wahrhaft großindustrielle Züge angenommen hat und durch Demoskopen, Imageberater, Medienanalysten und Spin-Doktoren bestimmt wird.

Umso nachhaltiger blieb der Eindruck, den der Autor 1968 von Robert Kennedy gewonnen hatte, einem der, nach Klein, seltenen Politiker, deren Meinung nicht von Populismus oder billigem politischem Kalkül bestimmt wurde. Ein starker Kontrast zu vielen anderen Anwärtern auf das höchste politische Amt der westlichen Hemisphäre. Während Kennedy im Verlauf seiner Wahlkampftour wagte vor einer Gruppe schwarzer Anhänger den großen griechischen Tragödiendichter Aischylos zu zitieren, um, in sehr persönlicher Rede, seinem Entsetzen über die soeben bekannt gewordene Ermordung Martin Luther Kings Ausdruck zu geben, beließen es andere Kandidaten in ihren Reden oft bei Plattitüden zu Themen, die auf eine Briefmarke mit der Überschrift „Verantwortung“, „Achtung“, „Werte“ passten. Negative Botschaften werden mit Vorliebe über politische Gegner verbreitet, während die Verkündung unangenehmer Wahrheiten über drängende, zumeist wirtschaftliche und soziale Fragen verzögert vorgenommen oder sogar gänzlich anderen überlassen wird.

Obwohl sich das Lamento vornehmlich gegen jene Beratungsindustrie richtet, die jede öffentliche Äußerung, bevor ein Kandidat sie vom Teleprompter ablesen darf, zuerst in Fokusgruppen und Telefoninterviews mit Netz und doppeltem Boden versieht, fokussiert die Darstellung die Hauptakteure eines amerikanischen Dauerwahlkampfs. Nach dem Dafürhalten Kleins hatten Politiker wie Ronald Reagan, Bill Clinton oder George W. Bush Erfolg, weil sie politisches Talent haben und ihren Teams in den entscheidenden Momenten die Richtung vorgaben und nicht, wie Michael Dukakis, Al Gore, John Kerry oder George Bush senior, zum Spielball ihrer Berater wurden.

Eine theoretische Ausformung dieses Gedankens wurde durchaus bereits an anderer Stelle betrieben: Zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts beispielsweise hat Oswald Spengler den Staatsmann als genetisch prädisponierten Menschen beschrieben, der seine besondere Veranlagung nutzt, um Politik zu machen. Erst diese Prädisposition macht den Politiker zum Staatsmann und lässt ihn aus der Masse seiner Kollegen hervorstechen. Talent befähigt ihn, als Kenner der Menschen, Lagen und Dinge intuitiv Entscheidungen zu treffen. Seine Intuition hat wenig mit Wissen zu tun, sondern betont die besondere Nähe zu handwerklicher Fertigkeit – einem Gestaltungstrieb. Karl Jaspers hat diese idealtypische Charakterisierung durch die Bindung des Politikers an das Gewissen erweitert. Politische Entscheidungen sollen immer auch Gewissensentscheidungen sein. Von Sartre wurde der Politiker in den siebziger Jahren schließlich als Zyniker entlarvt, der seine gesellschaftliche Verantwortung hintanstellt, um sich nicht der Gefahr des persönlichen Scheiterns auszusetzen – so weit, so ähnlich.

Leider bleibt Klein auf Distanz zum wissenschaftlichen Diskurs. So ist seine Streitschrift zu sehr bloße Bestandsaufnahme der politischen Kultur Amerikas, um ernsthafte Diskussionsgrundlage sein zu können. Dass die Einblicke des Insiders Klein dennoch aufschlussreich sind, liegt vor allem an der scharfsinnigen Darstellung politischer Mechanismen und den pointierten Einblicken in höchste politische Sphären. Die vielen Anekdoten sind unterhaltsam, etwa wenn der spätere Medienberater George W. Bushs, Mark McKinnon, verrät, dass er „(…) der Kandidaten müde geworden (sei), die von (ihm) wissen wollen, was ihre unerschütterlichen Überzeugungen sein sollten (…)“, oder wenn ein Saalordner dem designierten Vizepräsidenten John Edwards „Laufen Sie!“ zurufen muss, während er die Gattin des Kandidaten John Kerry festhält, um der im Protokoll verankerten Reihenfolge der Gratulanten bei dessen Nominierungsfeierlichkeiten Genüge zu tun. Auch die vielen Charakterstudien namhafter amerikanischer Politiker sind durchaus lesenswert.

Aber Klein beherzigt die Regel nicht, für die er selbst so vehement eintritt. Zwar schildert er den Wandel der politischen Kultur Amerikas in den vergangenen 40 Jahren so unverstellt und emotional, wie er es von Politikern fordert, seine Ausführungen bleiben jedoch an der Oberfläche, sind anekdotisch. Die Tendenz zur Vereinfachung entspricht zu oft dem Muster, das beschrieben wird und es ist letztendlich das Fehlen der theoretischen Unterfütterung, das dem Buch die Substanz nimmt, die mehr als dreihundert Seiten gerechtfertigt und etliche Längen vermieden hätte.

Von Jürgen Wicht

Literaturangaben:
KLEIN, JOE: Vom Ende der Politik. Wie Meinungsforscher und Wahlkampfstrategen die Demokratie ruinieren. Aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert. Propyläen Verlag, Berlin 2008. 336 S., 22,90 €.

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