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„Silbersee“

Von Grenzen und Grenzübertretungen in einer psychiatrischen Klinik

© Die Berliner Literaturkritik, 19.05.10

HALLE (BLK) – Im Oktober 2006 hat der Mitteldeutsche Verlag Sebastian Brocks „Silbersee“ herausgegeben.

Klappentext: Ein junger Arzt hinter Zäunen, Mauern und Gittern. Es ist Konrad Walsers erster Arbeitstag in der Psychiatrischen Klinik am Silbersee. Auf seinem Schreibtisch liegt die Akte eines Neuzugangs: Daniel, der zart aussehende „Mörderengel“, wird sein erster Patient. Reglos registriert der junge Arzt, was um ihn herum vorgeht: das Verhalten der Patienten scheint ihn ebenso kalt zu lassen wie die Machenschaften seiner Kollegen. Bis er merkt, dass ihn doch etwas berührt: Daniel, der Mädchenmörder, für den er plötzlich zärtliche Gefühle hegt. „Silbersee“ erzählt von Grenzen und Grenzübertretungen, vom Versuch, Nähe und Distanz herzustellen und von dem schmalen Grat, der Schuld und Liebe trennt. Mit einer genauen die Dinge oft ins Absurde verfremdenden Sprache legt Sebastian Brock die Konturen menschlichen und unmenschlichen Verhaltens bloß, wobei das Schreckliche, das Rührende und das Komische nahe beieinander liegen.

Sebastian Brock, 1980 in Leipzig geboren, studierte Medizin in seiner Heimatstadt und in Barcelona. Parallel dazu absolvierte er das Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er arbeitet an einer Klinik in Halle (Saale). „Silbersee“ ist sein Romandebüt. (jos)

Leseprobe:

©Mitteldeutscher Verlag©

Daniel und ich sind am gleichen Tag am Silbersee angekommen.

An der Endstelle stieg ich aus der Straßenbahn. Der Himmel war weiß und die Sonne nur ein greller Fleck, der Silbersee eine Stahlplatte zwischen den Feldern. Ich ging über Kopfsteinpflaster auf das Krankenhaus zu und sagte dem alten Mann im Pförtnerhaus meinen Namen.

- Ich fange heute als Arzt hier an, sagte ich.

Er klopfte mit dem Stift auf sein Kreuzworträtsel, die Fingernägel gelbbraun wie Milchkaffee.

- Figur der griechischen Mythologie. Kam der Sonne zu nah. Sechs Buchstaben, sagte er.

Er goß Sahne in seinen Kaffee, rührte um und leckte den Löffel mit seiner braunen Zunge ab.

- Station siebenundzwanzig, sagte ich.

- Das Haus ganz hinten durch. Die haben auch gerade einen Neuen bekommen, da müssen Sie nicht alleine anfangen, sagte er und schrieb die Buchstaben in die Kästchen.

Ich ging die Pflastersteinstraße ins Krankenhausgelände hinein. Die Bäume waren noch kahl und sahen spröde aus. Ich ging in der Mitte der Straße. Das Haus am Ende der Straße war aus roten Backsteinen gebaut. Der Zaun ringsherum war höher als das Haus. Die Fenster waren gelbe Rechtecke mit schwarzen Gittern davor. Hinter mir hupte ein Auto. Ich trat zwischen die Bäume. Halten Sie Abstand, ich hab Freunde am Silbersee, stand auf der Heckscheibe. Das Auto hielt vor dem Backsteinhaus. Ein Mann stieg aus dem Auto und wartete.

- Keine Angst, Herr Doktor! Ich bin vor dem Zaun, ich tue Ihnen nichts! rief er.

Mit jedem Schritt auf das Haus zu wurden die Drähte des Zauns kräftiger und die Maschen kleiner. Der Mann streckte mir die Hand hin, ich versuchte an ihm vorbei zu sehen, das Backsteinhaus war hinter dem Zaun verschwunden.

- Sie sind doch der neue Doktor, hat Tenne von der Schranke gesagt. Mein Name ist Gollner, ich bin der Stationspfleger. Sie kommen gerade richtig. Bin eben mit den Brötchen fürs Frühstück zurück.

Ich nahm die Hand, sie war groß und feucht. Gollner hob mir den Plastikbeutel mit den Brötchen vors Gesicht. Er klingelte am Zaun.

- Keine Angst. Wir kriegen das schon hin, sagte er.

©Mitteldeutscher Verlag©

Literaturangabe:

BROCK, SEBASTIAN: Silbersee. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2006. 191 S., 18 €.

Weblink:

Mitteldeutscher Verlag


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