Von Miriam Bandar
SALZBURG (BLK) - Er stolziert über die Bühne, packt seine Buhlschaft zum Kuss, sinkt verzweifelt auf die Knie und betet schließlich inbrünstig im Büßergewand das Vaterunser: Als „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen verkörpert Peter Simonischek das pralle Leben und wird diese Rolle in diesem Jahr so oft gespielt haben wie kein ein anderer vor ihm. Die Zuschauer feiern ihn und die Premiere des Traditionsstücks am Sonntag vor dem Dom wie immer überschwänglich. Auch die beiden Neubesetzungen, Ben Becker als Tod und Peter Jordan als Teufel, überzeugen.
Trotz allen Erfolges scheiden sich am meistens ausverkauften „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal jedes Jahr in Salzburg die Geister: Während das Publikum begeistert ist, kritisieren viele Anhänger der Hochkultur das Open-Air-Spektakel über das Leben und Sterben des reichen Mannes vor imposanter Dom-Kulisse als belanglose Folklore. Das seit 1920 bei jeden Festspielen aufgeführte Mysterienspiel hat Regisseur Christian Stückl zwar in der aktuellen Fassung leicht verändert. Dennoch hebt sich der „Jedermann“ mit seinen historischen Kostümen und seiner konventionellen Inszenierung von anderen Festspiel-Premieren ab.
In Pluderhose und Wallehemd füllt Simonischek am Sonntag als reicher, eitler Mann, der im Angesicht des Todes reumütig zurück zu Gott findet, souverän den ganzen Domplatz. Er wird zum Ende dieser Saison einen Rekord aufgestellt haben: Mit 91 Mal spielte er dann den Jedermann häufiger als jeder seiner Vorgänger, darunter Maximilian Schell und Klaus Maria Brandauer. Im kommenden Jahr soll Nicholas Ofczarek die Rolle übernehmen. Der Abschied werde ihm schwerfallen, sagte Simonischek der österreichischen Nachrichtenagentur APA: „Nach der letzten Vorstellung gebe ich der Traurigkeit Raum und Platz, dann werde ich irgendwo im Gebüsch sitzen und heulen.“
Sofie von Kessel zeigt in ihrem zweiten Amtsjahr im blauen Kleid eine feinfühlige, aber auch etwas kühle Buhlschaft. Ihre Rolle wird 2010 Birgit Minichmayr übernehmen. Als Neubesetzungen kommen Ben Becker als Tod und Peter Jordan als Teufel beim Publikum voll an: Graugefleckt angemalt und nur mit silberfarbenem Mantel bekleidet ächzt ein fülliger Becker als zittriger Tod Drohungen hervor. Jordan legt seine Rolle als Teufel und guter Gesell deutlich humoristischer und etwas zurückhaltender an als sein Vorgänger Sven-Eric Bechtolf, der ab 2012 Schauspielchef in Salzburg wird. Behaart, mit blutunterlaufenen Augen und mit Rattenschwanz kriecht der Teufel über die Bühne und versucht mit schleimiger Boshaftigkeit, „Jedermann“ in seine Flammen zu locken.
„Ich war in den letzten Jahren schon dreimal da und es gefällt mir jedes Mal besser“, sagt die Zuschauerin Christiane Dreschel aus Kärnten nach der Vorstellung. Andere modernere Theaterinszenierungen seien ihr oft zu sehr an den Haaren herbeigezogen, bei „Jedermann“ begeistere sie alles. „Die Botschaft ist und bleibt aktuell, warum sollte man das jetzt groß anders machen“, sagt Wolfgang Parsch aus Koblenz. In manch anderen Stücken werde doch nur der Verfremdung wegen verfremdet. Damit liegen die „Jedermann“-Besucher voll auf der Linie des Schriftstellers Daniel Kehlmann: Er hatte in seiner Festspiel-Eröffnungsrede am Samstag mit dem Regietheater abgerechnet und für eine größere Akzeptanz von historisch korrekten Aufführungen geworben.
Bei der „Jedermann“-Aufführung am Sonntag lässt dann auch Regisseur Stückl seinen Bösewicht sich als potenziellen Erneuerer der Salzburger Institution die Zähne ausbeißen. „Souffleuse gib mal Stift, es ist zu dumm, ich schreib das Stück mal eben um“, sagt Jordan als Teufel zum sich abzeichnenden positiven Ende hin. Doch kurz darauf resigniert selbst er und gibt mit dem Satz „Ich lass' ihn euch, stopft ihn euch aus“ alle „Jedermann“-Reformversuche auf.
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