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„Simplicissimus“ wird zeitgemäß

Reinhard Kaiser bringt den „abenteuerlichen Simplicissimus“ in modernes Deutsch

© Die Berliner Literaturkritik, 11.08.09

Von Thomas Maier

FRANKFURT/MAIN (BLK) - An Lobeshymnen hat es nie gefehlt: Als „Literatur- und Lebens-Denkmal der seltensten Art“ feierte Thomas Mann den „Simplicissimus“. Wüst und komisch sowie von überbordender Fantasie - Hans Jakob von Grimmelshausens Schelmenroman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gilt unbestritten als das bedeutendste Werk der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Doch gelesen haben das 1668/69 erschienene Buch nur wenige. Dafür sind Sprache und Grammatik zu altertümlich. Jetzt hat der Frankfurter Übersetzer Reinhard Kaiser den Versuch unternommen, den „abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch“ in zeitgemäßes Deutsch zu bringen. In diesen Tagen kommt das Buch in den Handel.

Der „Simplicissimus“ hat das Werk von Günter Grass („Die Blechtrommel“, „Beim Häuten der Zwiebel“), wie dieser selbst sagte, stark beeinflusst. Bertolt Brechts „Mutter Courage“ basiert auf Grimmelshausen. Der heutige Leser kann den Roman aber nur noch richtig verstehen, wenn er sich durchbeißt. „Er muss selbst zum Übersetzer werden“, sagt Kaiser.

Diese Aufgabe hat nun der 59-Jährige, der viel aus dem Englischen und Französischen übersetzt hat, stellvertretend übernommen. Daraus ist ein flüssig zu lesender Text geworden, der Grimmelshausen ins 21. Jahrhundert bringt, ohne zu falschen modernen Floskeln zu greifen. Kaiser spricht vom „großartigsten Roman, den es noch zu entdecken gibt“. Und wer mit dem Übersetzer und Autor spricht, der spürt, dass er es mit seiner Begeisterung ernst meint.

Grimmelshausens Held „Simplicius Simplicissimus“, der „Einfältige“, erzählt im Buch seine Geschichte selbst. Als 10-Jähriger muss er vor den Soldaten fliehen, die den väterlichen Bauernhof im Spessart überfallen. Er landet bei einem alten Eremiten, bevor seine abenteuerliche Erkundung der Welt als Narr oder auch als Soldat oder Räuber beginnt. Am Ende schickt Grimmelshausen seinen Ich-Erzähler vom Schwarzwald aus rund um den Globus. Er strandet auf einer einsamen Insel und wird am Ende selbst zum Einsiedler.

Der „Simplicissimus“ ist ein Kriegs- und Reiseroman - und als Schelmenroman beeinflusst von literarischen Vorbildern aus Spanien und Frankreich. Es ist ein „Buch von unten“, das mit der höfischen Barockliteratur nichts gemein hat. „Es kommt auf eine Weise rüber, wie man es von einem 350 Jahre alten Buch nie erwarten würde“, sagt Kaiser. Dennoch ist das Projekt auch ein Risiko. Auch Kaiser rechnet damit, dass sich die „Gralshüter“ mit der Frage zu Wort melden werden, ob denn ein Klassiker wie Grimmelshausen aus dem Neuhochdeutschen tatsächlich übersetzt werden darf. „Aber das macht mir wenig Kummer, weil die Übersetzung das Original nicht verschwinden lassen will.“

Kaiser hat an der Übertragung des Textes über ein Jahr lang gearbeitet. Dabei ging es um das Ersetzen von Wörtern, die heute eine ganz andere Bedeutung haben wie zum Beispiel „schlecht“, das dem heutigen „schlicht“ entspricht. Andere Bezeichnungen sind historische Verbrämungen. Zum Beispiel wurden die plündernden Soldaten im Dreißigjährigen Krieg „Parteigänger“ genannt. Schließlich war das Plündern damals der Sold, der den Soldaten zustand.

Der neue „Simplicissimus“ erscheint in zwei aufwendig gestalteten Bänden in der „Anderen Bibliothek“ des Eichborn Verlags, die Hans Magnus Enzensberger einst begründete. Offiziell vorgestellt wird die Neuübersetzung am kommenden Montag (17. August) - dem 333. Todestag von Grimmelshausen - in seinem zwischen Frankfurt und Fulda gelegenen Geburtsort Gelnhausen. Die Kreissparkasse Gelnhausen und die Sparkassenstiftung Hessen-Thüringen haben Kaisers Projekt großzügig unterstützt.

Vieles am Autor Grimmelshausen, der aus einer Adelsfamilie stammte, ist bis heute noch rätselhaft. Nicht einmal das genaue Geburtsjahr - 1621 oder 1622 - steht fest. Grimmelshausen ging im damals protestantischen Gelnhausen in die Lateinschule, verlor ähnlich wie der Simplicissimus früh seine Eltern und geriet schon als Heranwachsender in die Kriegswirren. Später brachte er es sogar zum Schultheiß im südbadischen Renchen. Dort starb er am 17. August 1676.

Grimmelshausen war literarischer Außenseiter. Seine Schreibkarriere begann spät und ist umso merkwürdiger, weil er sowohl der Adelswelt wie dem akademischen Bürgertum fernblieb. Die fünf Bände des „Simplicissimus“ und einen Fortsetzungsband (Continuatio) veröffentlichte er unter Pseudonymen, was damals nicht unüblich war. Erst 1837 wurde die Anagramme (Buchstabenspiele), die Grimmelshausen für seine Pseudonyme benutzte, entziffert.


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