Von Mirco Drewes
Claus Kiefer, Professor für theoretische Physik an der Universität zu Köln, hat mit „Der Quantenkosmos“ im S. Fischer Verlag ein ambitioniertes populärwissenschaftliches Buch zur Quantenphysik publiziert. Nach der Revolution der Newtonschen Physik durch Einsteins Relativitätstheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts und durch die Quantenmechanik seit den 1930er Jahren kann die Physik als die Avantgarde der Wissenschaften bezeichnet werden. Keine andere Disziplin hat in den letzten hundert Jahren derart grundlegende Umwälzungen erfahren, die das Bild des Menschen von der Welt und die Erkenntnistheorie im Kern betreffen.
Die Vereinigung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik in der Theorie der Quantengravitation schickt sich an, Antworten auf den Zusammenhang von Mikro- und Makrokosmos zu geben, die die „klassische“ Wahrnehmung der Welt über Sinnesdata als Grenzfall enthält und die Entstehung der Realität, in der wir leben, als ein erklärbares lokales Phänomen ansieht. In der Vereinigung der Theorien kommt es zu einer Neubewertung des Zeit-Begriffes, der unser Leben und Sterben gleichermaßen betrifft, wie die Rolle des Betrachters im Universum und die Grenzen des Erkennbaren. Im strikt naturalistischen Verfahren von möglichst voraussetzungsfreier theoretischer Explikation und empirischem Experiment werden Voraussagen über die Entwicklung des Universums als Ganzem möglich.
Claus Kiefer versucht, seinen Anspruch einer populären Darstellung der spannenden Fragen und verblüffenden Erkenntnisse der Quantengravitation über eine historisch verfahrende Darstellung der Grundlagen und Voraussetzungen der modernen Physik einzulösen. Ausgehend von einer Beschreibung des antiken Kosmos über die Entdeckung der klassischen Physik durch Isaac Newton geht Kiefer zur Relativitätstheorie Einsteins über, in welcher die absolute Zeit Newtons zur Raumzeit relativiert wurde. Deutlich wird bereits in den Anfangskapiteln, dass die Darstellung Kiefers der interessanten, aber auch komplexen und voraussetzungsreichen Materie nicht gerecht zu werden vermag.
Die Fülle an historischen Experimenten in der Darstellung wirkt in der Aufbereitung Kiefers irritierend. Erschwert wird der Nachvollzug der Entwicklung im theoretischen Gebilde der Physik durch die fehlende Erläuterung neu eingeführter Begrifflichkeiten, die allenfalls bei einem Fachpublikum vorauszusetzen sind. Zudem offenbart Kiefers Schreibe didaktische Schwierigkeiten. Zugunsten der Klärung von Grundlagen wäre ein Verzicht auf Detailreichtum wünschenswert gewesen. Interessant wird die Lektüre, wenn die Erkenntnisse der experimentellen Physik auf kosmische Phänomene angewendet werden und sich erstaunliche Perspektiven offenbaren. Insgesamt bleibt der Erkenntnisgewinn leider Stückwerk und Kiefers Darstellung als Einführung oder populärer Überblick wenig hilfreich, wobei die ausführlichen Anmerkungen, die sich weitgehend Exkursen oder Gleichungssystemen widmen, keine Behebung des Missstandes leisten.
Die Kapitel zur Thermodynamik, zu den Ansätzen einer neuen Kosmologie, also der Erklärung astronomischer Phänomene durch die moderne Physik in einem konsistenten System, und schließlich zur Quantengravitation sind im Einzelnen sehr spannend zu lesen, insgesamt aber unzureichend als Überblickdarstellung und populäre Diskussion der Fragen der Grundlagenforschung. Die Begeisterung des Autors für seine Disziplin ist spürbar und überträgt sich beim zweiten oder dritten Lesen einzelner Abschnitte auch auf den Leser, was allerdings mangelnde Didaxe und den leider stark unterrepräsentierten Bezug zur Philosophie nicht ersetzt.
Besonders dünn ist das Ausblicks-Kapitel geraten, welches auf gerade sechs Seiten die auch geisteswissenschaftlich bedeutenden Implikationen der Erkenntnisse der modernen Physik höchstens oberflächlich anreißt und unklar auf die naturwissenschaftlichen Herausforderungen in näherer Zukunft fokussiert. Claus Kiefers Darstellung der Quantenkosmologie hätte eine Co-Autorschaft eines erfahrenen Wissenschaftsjournalisten sicher gut getan. Diese Darstellung ist geeignet, Interesse für die moderne Physik zu wecken und mag dem Studenten dieser Disziplin einen guten historischen Überblick gewähren. Als Einführung in die Materie ist „Der Quantenkosmos“ sicher nicht gut gelungen und unglücklich konzipiert. Die hervorragende Kenntnis einer Materie schützt nicht vor einem ambitionierten Scheitern in der Vermittlung.
Literaturangabe:
KIEFER, CLAUS: Der Quantenkosmos. Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 352 S., 22,90 €.
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