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Popov: „Für Fortgeschrittene“

Die Erzählungen des bulgarischen Schriftstellers überzeugen durch Sprachwitz und Humor

© Die Berliner Literaturkritik, 03.06.10

Von Leonhard Reul

Der Titel irritiert. „Für Fortgeschrittene“. Wer soll das sein? Die gängige selbstbezügliche Auslegung des Begriffs lässt den Leser vermuten, dass er als Popov- Novize vielleicht gar nicht befugt sei, gleich mit diesem Buch zu starten. Da es aber keinen Band „Für Anfänger“ gibt, bleibt diese These haltlos. Vielleicht sind ja die Bulgaren inzwischen fortschrittlich – für die hat unser Autor schließlich primär geschrieben und nicht für uns Westeuropäer. Wir kommen sowieso als eher wenig schmeichelhafte Gesellen in der Geschichte „Auf der Insel der Koprophagen“ nicht besonders gut weg. Doch dazu später. Zunächst sei das Rätsel aufgelöst: der Buchtitel ist gleichsam Überschrift einer Kurzgeschichte, die seltsame Begebenheiten eines Englischkurses referiert. Bulgarien auf dem Weg zum „big business“ – zumindest in den Träumen der fleißigen Kursteilnehmer, die durch Lanas schreckliche Aussprache niemals zu Fortgeschrittenen werden können – ohne sie schaffen sie es letztlich aber auch nicht.

Wer nun denkt, Popov sei recht konventionell gestrickt und präsentiere typische Umbruchs- oder Postkommunismus- Geschichten, der täuscht sich. Zwar sind einige Erzählungen recht stark der Frage verhaftet: was ist Identität – was macht(e) die Zeit aus redlichen Bulgaren? Jedoch geht Popov dieser Frage nicht mit alltäglichen „aus dem Leben gegriffenen“ Geschichten und Beobachtungen nach, sondern er entwickelt bizarre Handlungsstränge und Figuren, die unheimlich unwirklich auf uns wirken und vereinzelt an die schalkhaften Phantasmen eines Bulgakow erinnern. Grotesk ist zum Beispiel die „Dienstleistung“ des Enthauptens, die via Anzeigeninserat Zulauf findet. Um vom Vertrag zurückzutreten sind die 30fachen Kosten der geplanten Exekution aufzubringen – ob der allzu neugierige Interessent ausgelöst wird, ist Gegenstand einer Wette zwischen Henker und Helfer (sowie des Lesers, der in dieser Geschäftspraxis auch Anklage gegen neue westliche Vertragsfreiheiten im Osten vermuten darf).

Die „unschuldigen Hände“ eines Onkels sind in ähnlicher Lebensgefahr: hat der alte leidenschaftliche „bon vivant“ mit der Abtrennung seiner Glieder zu rechnen, weil er einer körperlichen Anziehung erlag – oder lässt die „Energie“ rechtzeitig nach? Das Thema im „Unabhängigkeitstag“ ist eine fiktive Hungersnot, die eine Familie zu Kannibalen werden lässt – zwischen zähem Großvater und zartem Kind ist zu wählen: Gott schickt eine Art Zuckerwatte – Manna für seine eigentümliche bulgarische Musterfamilie. Ein andermal, in der „Insel der Koprophagen“ gibt es Fäkalien des Westens als humanitäre Hilfe für den Osten, der aus dieser Kost seine neue Kraft zieht, unerwartet Elite wird und die eigennützigen unedlen Spender zu Produzenten und Lieferanten degradiert. Eine aufschlussreiche Kost…

Das Essential, die Nahrung – auch in Form des ritualisierten Glaubens – ist Thema im „Krautzyklus“. Der strenge Vater Hovav ist Meister des Krauts und verwendet all seine Inbrunst auf die Hervorbringung eines solchen. Dieser Eifer wird mit Krautengelsex vergütet – nur ist nach der Entdeckung durch den Sohn Fabelwesen und Moralinstanz dahin. Und der Jüngling muss einen Weg finden ohne Hovav-Kraut – in welcher Absicht auch immer – zu fabrizieren. Die Zerstörung bisher gültiger Rituale und Maßstäbe, des Sinns eigenen Tuns ist in „sauberer Arbeit“ ausgedrückt. Das Lachen bleibt dem Leser schnell im Halse stecken, wenn er abstrahiert: hier putzt sich eine Frau besessen in eine neue bessere Mr. Proper-Welt, die eine totale unrealistische Angleichung an die neuen Normen des Westens einfordert.

Die, die im Westen angekommen sind, können sich schöne Spiele mit den Vorteilsnehmern von einst erlauben. So ist im „Stipendiat“ nachzulesen wie ein selbstsüchtiger Dozent in der Bronx wochenlang versauert – und das Mitleid mit ihm hält sich nach Auflösung der Intention seines Mäzens in Grenzen. Ähnliches gilt für den witzigen Auftakt des Buches: „Russisches Email“. Da korrespondiert ein Bulgare mit einer Russin, freut sich auf den mit anzüglichen Worten eingeleiteten Besuch, und plötzlich kommt ein Mann – der sich als Vater der nur 13jährigen Korrespondentin ausgibt. In der vom wollüstigen Bulgaren angemieteten Wohnung nächtigt nun dieser eigentümliche Herr und hinterlässt nachfolgenden Brief: „Dorogoj Sascha, lieber Sascha, ich habe sie ein klein wenig zum Narren gehalten. Zuerst habe ich sie erschreckt, dass Viktorija ein Mann sei, und dann habe ich Sie glauben gemacht, sie sei ein Kind. Aber die Wahrheit ist weitaus banaler. Viktorija ist nicht dreizehn Jahre alt, sondern einundzwanzig. Und sie ist nicht meine Tochter, sondern meine Ehefrau. Sie hatte leider eine lebhafte Phantasie, aber das habe ich zu spät begriffen. Sie hatte vor, mit meinem ganzen Geld durchzubrennen, und das ist, glauben sie mir, nicht eben wenig. So war ich also gezwungen, gewisse Maßnahmen zu treffen. Ich nehme an, dass Sie der Gedanke quält, ob sie wirklich die Frau von dem Foto ist, dass sie Ihnen geschickt hat. Ich schlage vor, dass Sie die Schachtel im Kühlschrank öffnen. Überzeugen Sie sich selbst. Ihr Slist“.

Das ist Popovs Humor. Und auch seine Lust - vom Sprachwitz begleitet kuriose Wendungen in seine Geschichten zu bauen. Der Leser darf daran teilhaben und sich über gute Einfälle, starke Bilder und so manchen grotesken Grenzgang freuen. Er kann versuchen etwas in die Geschichten hineinzulegen – nämlich die Absichten des frechen Geistes der jungen bulgarischen Literatur. Er muss es aber nicht und das ist auch ein Vorzug: die Geschichten haben das Zeug zum zeitlosen Plaisir trotz aller Bezüglichkeiten. Und das ist schön – insofern möge Popov nicht das Schicksal der „Perlen vor die Säue“ ereilen und ihm seine Tantiemen auch ohne Einsatz seiner Erzählungen in der Schweinezucht für neue Produktionen ausreichen!

 

Literaturangabe:

POPOV, ALEK: Für Fortgeschrittene. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Residenz Verlag, St. Pöltgen-Salzburg 2009. 282 S., 22 €.

 

Weblink: Residenz-Verlag

 

 


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